Have a break, write a book

Monat: September 2019

Where the story happens

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich meinen Kurzkrimi „ESAV EID – Die Vase“ für den Krimiwettbewerb des Krimifestivals in Gießen geschrieben. Einer der beiden zentralen Grundgedanken war, dass die Geschichte an nur einem Ort spielt (was ich zugegebenermaßen nicht ganz eingehalten habe, aber ****** drauf). Hierzu habe ich mir zu allererst einmal den Handlungsort – das Wohnzimmer der Familie S. – aufgemalt. Doch wie schafft man es, den Schauplatz einer Geschichte in das Hirn des Lesers zu teleportieren? Es gibt zwei einfache Wege:

  1. Man lässt die Figuren handeln. Dadurch, dass die Charaktere mit der Umgebung interagieren, erhält der Leser direkt ein Bild des Schauplatzes. In ESAV EID liest sich das dann so:
    Nachdem sie das Bücherregal durchforstet hat, rückt sie die übriggebliebenen Bücher enger zusammen, um die entstandenen Lücken zu kaschieren. Auf die frei gewordenen Flächen wird sie später einige dekorative Gläser oder Vasen stellen. Martina stellt den Karton auf dem kleinen Sofatisch ab. Dann geht sie zu dem kleinen Schränkchen, in dem Johannes‘ Musikanlage steht.
    Als Leser weiß ich jetzt, dass es in dem Wohnzimmer ein Bücherregal, einen kleinen Sofatisch und ein kleines Schränkchen – vielleicht eine Art Kommode – gibt.
    Weiter geht’s dann mit den Herren Ermittlern:
    Der Anwaltsgehilfe wirkt unsicher, als wüsste er nichts Rechtes mit sich anzufangen. Er tritt ständig von einem Fuß auf den anderen und blickt dabei immer wieder vom Ecksofa zur Sesselgruppe, die im sechseckigen Erker steht.
    Das Wohnzimmer verfügt offenbar über einen Erker und eine Sesselgruppe. All diese Informationen hat der Leser erhalten, ohne eine langweilige Beschreibung der Umgebung zu lesen, womit ich direkt komme zu Möglichkeit Nr. 2.
  2. Man beschreibt, wie die Gegend halt so aussieht. Ich war allerdings noch nie ein großer Fan von seitenlangen Landschaftsbeschreibungen à la Karl May (auch wenn mein absoluter Lieblingsautor, Michael Crichton, ebenfalls sehr gut darin war), was mich jedoch nicht davon abhält mich ab und an ebenfalls dieser Methode zu bedienen (ich vermute, dass man hierfür sehr viel besser sein muss, als ich es bin). So geschehen in meiner Kurzgeschichte „Sein letzter Witz“, in der Franklin die Wohnung von Rocco dem Clown betritt.
    Der einzige Raum ist gerade einmal so groß wie Franklins Küche und dient als Schlaf- und Esszimmer. In einer Ecke sind eine kleine Herdplatte und eine Spüle installiert. Die Tür zur Toilette ist aus den Angeln gefallen und lehnt an der Wand. Der Toilettendeckel ist hochgeklappt. Im ganzen Raum stinkt es. Absurderweise hängt an der Decke – als wäre er aus einem anderen Universum in die kleine Wohnung hereingeschneit – ein großer alter Leuchter.

Mir fällt kein kluges Schlusswort für diesen Beitrag mehr ein, drum höre ich einfach so auf. Punkt.

Der Wanderer

Das folgende Gedicht entstand – wenn man der Legende glauben schenken möchte – im Physikunterricht, während der Praktikant über den Mond schwadronierte. Eventuell vielleicht ist an dieser Geschichte etwas dran. Sie würde zumindest die Thematik des Werks erklären.

Wir steh’n in deiner Bahnen Mitte
Nachts erhellst du unsre Schritte
Verbirgst ganz selten dein Gesicht
Sendest uns dein fahles Licht
Mal wächst du an, mal wirst du klein
„Wieso verändert sich dein Schein?“
Fragten einst der Gelehrten Kreise
Und antworteten auf diese Weise
„Oh welche Freud, oh welche Wonne,
die Ursache liegt bei der Sonne!“

Ein Absatz im Wandel der Zeit

Wie ändert sich ein Text im Laufe der Überarbeitung (die ja, zwangsläufig iterativ verläuft)? Meine Texte bieten dafür wahrscheinlich kaum Anschauungsmaterial, da ich – entgegen der Empfehlung eines gewissen Herrn King – eher „mit geschlossener Tür“ (na, vielleicht doch eher „leicht angelehnter Tür“) an die Überarbeitung meiner Texte gehe.

Nichts desto trotz habe ich einmal einen Absatz aus meinem Buch „Haus Marianne“, den ich gerne – in seinen verschiedenen Entwicklungsstadien – teilen möchte.

1. Die „Rohfassung des Manuskripts“ (von vorne nach hinten runtergeschrieben, Null Überarbeitung, Rechtschreibefehler zum Mitnehmen):
Ich kannte Mia von Früher, als wir beide noch jugendliche waren und noch nicht an Tod oder Dinge wie Darmkrebs dachten. Wobei ich schon an Tod dachte, hatte ich doch kurz nachdem Mia fortgezogen war, einen üblen Kerl die Treppe heruntergestoßen. Das jedenfalls war die Version, der ich seit dem erlaubt hatte, in meinem Gedächtnis zu verweilen.          
Wie man unschwer erkennen kann, ist alles noch arg „verschwurbelt“ und dilettantisch (man beachte den plumpen Versuch des Foreshadowings). Also gings zunächst mal zum Adverbienstreicher Mr. Lu.

2. Die Manuskriptfassung, mit der ich zum ersten Mal eine etwas größere Testlesergruppe quälte. Auch hier gab es noch Tippfehler. Die einzige Überarbeitung, die zwischenzeitlich stattgefunden hatte, waren ein paar Rechtschreibefehler. Wie gesagt: Ich überarbeite mit geschlossener Tür.
Ich kannte Mia von Früher, als wir beide noch Jugendliche waren und noch nicht an Tod oder Dinge wie Darmkrebs dachten. Wobei ich schon an Tod dachte, hatte ich doch kurz nachdem Mia fortgezogen war, einen üblen Kerl die Treppe herunter in den Tod gestoßen. Das jedenfalls war die Version, der ich seit dem erlaubt hatte, in meinem Gedächtnis zu verweilen.
Ich schäme mich ein wenig dafür, dass ich nicht all die Worte weggelassen habe, die mir mein Erstleser gestrichen hat (zum Beispiel „ich schon an Tod dachte, hatte ich doch kurz nachdem“). Aber wie man noch sehen wird, bin ich auch zu Änderungen fähig.

3. Aus den Rückmeldungen meiner sechs Testleser bastelte ich eine Version, die ich meiner Lektorin vorlegte.
Ich kannte Mia von früher, als wir beide noch Jugendliche waren und noch nicht an Tod oder Dinge wie Darmkrebs dachten. Das fing erst an, als ich, kurz nachdem Mia fortgezogen war, einen üblen Kerl die Treppe herunter in den Tod gestoßen hatte. Das jedenfalls war die Version, der ich seitdem erlaubt hatte, in meinem Gedächtnis zu verweilen.
Die einzige Entschuldigung, die ich für meine Sturheit habe, ist eine Charaktereigenschaft von mir, die mein Bruder einmal wie folgt beschrieb: „Ein David Hermann hat keinen Sinneswandel!“

4. Werfen wir einen Blick ins fertige Buch. Wie man unschwer erkennen kann, bin ich, wenn man mich nur lange genug nervt (okay, sagen wir mal „auf Dinge hinweist“), doch zu Änderungen fähig.
Ich kannte Mia von früher, als Mia noch jung und ich noch unschuldig war und wir noch nicht an Dinge wie Tod oder Darmkrebs dachten.

Wie ich schon in den Danksagungen meines Machwerks schrieb (oder „schrob“, wie es eigentlich heißen müsste), gehe ich nicht wirklich mutig an meine Texte heran. Ich gelobe an dieser Stelle Besserung. Das Netz ist mein Zeuge.

Revolution

„Jetzt reichts, das Maß ist voll!“, denkt Jonas. Er knallt seinen Füller so geräuschvoll auf den Tisch, dass Herr Geier, der vorne an der Tafel den Satz des Pythagoras erläutert, mitten in der Beweisführung innehält und völlig verdutzt in Jonas’ Richtung sieht.
„Wie bitte?“, fragt Herr Geier, nachdem er sich wieder gefangen hat.   
„Ich sagte: Es reicht!“, antwortet Jonas bestimmt. „Ich sehe es nicht weiter ein, diesen Scheiß zu lernen. Diesen Satz des Prythagonas braucht nachher sowieso kein Schwein.“  
Herr Geier räuspert sich zunächst, bevor er erwidert: „Richtig heißt es: ‚Satz des Pythagoras‘. Und natürlich brauchst du den später in deinem Leben noch.“       
„Einen Scheiß brauch ich den. Ich will Influencer auf YouTube oder Twitch werden“, ruft Jonas, „da muss man so einen Quatsch nicht wissen.“
Er schleudert sein Mathebuch auf den Boden und packt sein Mäppchen ein. Dann steht er auf und ruft seinen erstaunt dreinblickenden Klassenkameraden zu: „Ich geh jetzt nachhause und mach Headshot-Training. Am Wochenende hab‘ ich wieder einen Streamingmarathon.“
Seine Mitschüler jubeln ihm zu. Einige werfen ebenfalls ihre Mathebücher auf den Boden.        
Plötzlich steht Johanna auf. Zunächst streicht sie noch zögerlich ihre Haare aus dem Gesicht, dann sagt sie laut und deutlich: „Ich gehe auch. Ich werde ab jetzt jeden Tag für das Klima streiken. Nur Fridays for Future reicht eben nicht aus. Wir müssen jeden Tag auf die Straße gehen, sonst checken die da oben gar nix mehr.“       
Jubelrufe aus dem Publikum. Herr Geier hat mittlerweile deutliche Schweißflecke unter den Armen. Die Situation ist ihm irgendwie entglitten.           
„Aber ihr könnt doch nicht einfach so der Schule fernbleiben“, stammelt er.     
Doch, sie könnten. Jonas, einige weitere aufstrebende YouTube-Stars und Johanna schultern ihre Taschen und verlassen – gefeiert wie eine siegreiche Fußballmannschaft – das Klassenzimmer. Paul ist sogar so dreist, sich im Treppenhaus eine Zigarette anzustecken.      
„Dem haben wir es gegeben!“, krakelt er, als sie draußen sind, und holt sein Smartphone raus. Das Display bleibt schwarz.             
„Verdammt, mein Akku ist tot“, flucht er.           
Doch er ist nicht der einzige, dessen Smartphone seine Dienste verweigert. Auch bei den anderen bleibt das Display schwarz.             
„Ist auch egal“, sagt Johanna und fährt fort: „Die Dinger zerstören eh nur den Planeten.“

Was die Gruppe der tapferen Revoluzzer nicht weiß, ist, dass Herr Geier, nachdem die Menschheit die Sache mit dem Klima in den Sand gesetzt hatte, eine Maschine erfand, mit der er rückwirkend alle Technischen Erfindungen unbrauchbar machte, die nur dank der Mathematik funktionierten. Alle, einschließlich seiner Erfindung.

Ende

Warum?

Ich stehe am Ufer

Vor mir: Ein Ozean aus Fragen

Fragen nach dem Sinn, dem Weg und dem Grund

Dem Grund für alles hier

 

In meinem Kopf: Mückenschwärme aus Antworten

Zwecklos, nach ihnen zu greifen

Ich tue es dennoch

Und tappe ins Leere

 

Ich stehe am Ufer

Zwischen meinen Zehen: Der Sand der Zeit

Jener Zeit, der man nachsagt, sie heile alle Wunden

Sie rieselt vor sich hin

 

Die Weisen wollen mich mit ihren Antworten erleuchten

Ihre Irrlichter ziehen mich an

Welcher Rat wird sich als Nebelkerze erweisen?

Die Zeit wird es zeigen

© 2024 David schreibt

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