Neulich dachte ich: „Hey, du hast noch nie etwas über einen Vampir geschrieben.“ Also habe ich mal etwas über einen Vampir geschrieben. Bitte sehr.
Meiner Meinung
nach gibt es kaum etwas, das das Leben derart aus den Fugen geraten lässt, wie
der Anfang und das Ende des Lebens: Eine Geburt, die Glück und Verantwortung
gleichermaßen mit sich bringt, und der Tod, der wie eine unaufhaltsame Macht
eine Schneise der Verwüstung durch die Leben all derer zieht, die dem
Verstorbenen nahestehen.
Was mich betrifft, wurde mein Leben von letzterem getroffen. Nur, dass sich in
meinem Falle der Übergang vom Leben in den Tod quälend langsam vollzieht.
Unweigerlich und ohne Hoffnung auf ein gutes Ende. Wobei: Ist es nicht immer
so? Ist das nicht der natürliche Lauf der Dinge? Wir nennen diesen Prozess das
Leben. Ich nenne ihn Verwandlung.
Die Uhr tickt unglaublich laut. Ihre Zahnräder rattern ohne Unterlass. Die
Zeiger drehen sich unaufhaltsam im Kreis. Eines Tages werden auch sie still
stehen.
Ich hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt die alte Uhr durch eine
Digitaluhr zu ersetzen. Jetzt sehe ich darin keinen Sinn mehr. Ich sitze reglos
auf dem Sofa und starre die Uhr an. Die Wunde an meinem Hals pocht unter dem
Kühlkissen. Kondenswasser hat sich auf der Plastikoberfläche des Pads gebildet
und läuft langsam an meinem Hals runter. In fünf Minuten werde ich mir ein
neues Kühlpad aus dem Eisfach holen. Fünf Minuten, in denen ich dem Ticken der
Zeiger lauschen muss. Fünf quälend lange Minuten, in denen ich wieder und
wieder die letzte Nacht durchlebe.
Wieso rennt der Mensch wissentlich in sein Verderben? Wieso fassen Kinder auf
heiße Herdplatten, obwohl ihre Eltern sie wieder und wieder gewarnt haben?
Wieso bin ich Schutzlos den Weg durch den Hafen gegangen, wo ich doch all die
Geschichten kannte. Seit der Grundschule wurden wir immer wieder vor ihnen
gewarnt. Vor ihnen. Wie sich das anhört. Immer noch traue ich mich nicht, sie
beim Namen zu nennen, wo ich doch bald einer von ihnen sein werde.
Lange habe ich versucht, es zu leugnen, doch ich habe die ganze Zeit gewusst,
dass sich außer dem Pochen der Wunde und dem Schwindelgefühl noch ein Gefühl bei
mir eingestellt hat. Anfangs dachte ich noch, ich hätte mich zu allem Überfluss
erkältet. Doch mit der Zeit wurde mir klar, dass das Kratzen in meinem Hals
eine andere Ursache hat. Ich habe bereits drei Flaschen Wasser getrunken, und
verspüre dennoch Durst. Durst nach… Ich weigere mich, daran zu denken.
Ich stehe auf und wechsle das Kühlkissen. In der Küche trinke ich ein weiteres
Glas Wasser. Mit jedem Schluck wird das Kratzen in meinem Hals schlimmer, wird
der Durst größer, die Gewissheit, was ich brauche, klarer.
Ich setze mich wieder auf mein Sofa. Eine Stunde werde ich noch aushalten. Eine
weitere Umdrehung des großen Zeigers. Und wenn ich Glück habe und stark bin,
halte ich danach noch eine weitere Stunde aus.
Ich schließe die Augen. Sofort höre ich die Nachbarin in der Wohnung nebenan
lachen.
Nur noch eine Stunde, und dann vielleicht noch eine.
Es kratzt in meinem Hals. Der Durst zieht unergründlich tiefe Furchen in meinen
Rachen.
Die Nachbarin lacht.
Nur noch eine…
Ich stehe auf und gehe zur Tür.
Ende
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