Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Wir machten uns auf den Weg. Jetzt bei Licht betrachtet kam mir der Weg ganz anders vor als noch letzte Nacht. War das Gras wirklich so hoch gewesen? Ich kam zu dem Schluss, dass ich in der Nacht wirklich etwas zu viel getrunken hatte. Wir erreichten die Stelle von letzter Nacht. Auf dem Boden lag noch Magnus’ Bierdose.
„Hier wollten wir schießen“, sagte Magnus.
„Ich hatte schon die Blumentöpfe aufgestellt – dort hinten können Sie sie sehen – als Magnus einfiel, dass er die Munition im Auto hatte liegen lassen.“
„Ich wahre die Munition immer getrennt von den Waffen auf.“
„Sehr vorbildlich“, sagte der Kommissar.
Ich hörte verwirrt zu. Aber wir hatten doch gestern Abend geschossen. Ich hatte ein paar Mal geschossen und Tom hatte die vier Blumentöpfe der Reihe nach umgeballert. Doch jetzt standen sie wieder da. Aufgereiht wie Zinnsoldaten.
„Tom“, sagte ich, „wir haben doch gestern geschossen. Also du und ich.“
Tom schüttelte den Kopf.
„Erinnerst du dich nicht mehr? Du hast abgedrückt, aber kein Schuss fiel. Dann erst bemerkte Magnus, dass er die Patronen im Auto vergessen hatte. Wir haben uns halbtot gelacht und sind zurückgelaufen. Ich war nur zu faul, die Blumentöpfe wieder zu holen.“
„Hier wurde also nicht geschossen“, sagte der Kommissar. „Wir werden den Boden und den Wald aber natürlich dennoch nach Schussspuren untersuchen.“
Jetzt wandte er sich an mich.
„Es wäre also ganz interessant, Herr Wolter, wenn Sie erklären könnten, wie die Schmauchspuren an Ihre Hand gekommen sind.“
Mir wurde heiß und kalt zugleich. Was lief hier? Hatte ich nun geschossen, oder nicht? Wir waren doch hier gewesen. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass ich versucht hatte, zu schießen, die Waffe aber ungeladen gewesen war. Und dann hatten Tom und Magnus tatsächlich gelacht. Und was war dann passiert? Waren wir tatsächlich zum Schloss zurückgekehrt? Hatte ich am Ende doch Gloria erschossen?
„Ich erinnere mich nicht mehr so genau“, sagte ich.
„Wir kehren jetzt zum Schloss zurück. Dann händigen Sie mir beide Waffen aus. Und Sie kontaktieren am besten mal Ihren Anwalt.“
Mir wurde schwindelig. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus, hielt kurz die Luft an und zählte bis zehn. Das Schwindelgefühl verflog.
„Das wird wohl das Beste sein. Wenn ich nur wüsste, wo ich die Nummer meines Anwalts habe.“
„Die kriegen wir schon noch heraus“, sagte der Kommissar.
Schweigend gingen wir den Weg zurück. Währenddessen verfestigte sich in meinem Geist ein Bild der letzten Nacht. Ich hatte zu viel getrunken, war mit Tom und Magnus draußen am Waldrand gewesen, hatte eine der Pistolen eingesteckt und damit anschließend meine Frau erschossen. So könnte es gewesen sein. Das Problem war nur, dass es nicht so gewesen war. Was also war wirklich los?
Wir erreichten das Schloss. Magnus führte den Polizist zu seinem Wagen. Er öffnete den Kofferraum. Dort standen die zwei Kisten. Eine war aufgebrochen. Die Waffe fehlte.
„Die Munition verwahre ich unter dem Vordersitz. Moment!“
Magnus öffnete die Fahrertür und zog eine kleine Schachtel unter dem Sitz heraus. Er reichte sie dem Kommissar.
„Das Kaliber stimmt auf jeden Fall mit dem des Mordopfers überein“, sagte der Kommissar. „Wir werden feststellen, ob auch die Waffe als Mordwaffe in Frage kommt.“
Wieder wandte er sich an mich.
„Vielleicht gehen Sie mal lieber hoch in Ihr Zimmer und packen ein paar Sachen ein. Es könnte durchaus sein, dass wir uns etwas länger unterhalten müssen.“
Ich nickte wie eine Marionette. Dann ging ich hoch in unser Zimmer. Glorias Kleid hing auf einem Kleiderbügel, ihre Handtasche war nirgends zu sehen. Also hatte sie sie dabeigehabt, als sie erschossen wurde. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich die Handtasche unten im Durchgang gesehen hatte. Ich wollte nur noch schlafen und aus diesem schrecklichen Albtraum erwachen. Vielleicht saß Gloria dann ja an ihrem Platz in unserer Küche.
Ich stopfte meine Klamotten, die ich bei meiner Ankunft getragen hatte, in den kleinen Reisekoffer. Dann setzte ich mich aufs Bett. Was für ein Schlamassel.
Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Wer mochte das sein? Der Kommissar? Oder vielleicht war es ja Juliette oder Henrietta oder Sophia. Es war Magnus.
„Was willst du?“, fragte ich ihn.
Ehe ich mich versah, packte er mich an Hosenbund und Kragen und zerrte mich durchs Zimmer. Er schleuderte mich durch das Fenster. Die alten Fensterscheiben hatten meinem Gewicht und der Wucht das Wurfes nichts entgegenzusetzen. Und so segelte ich zwei Stockwerke in die Tiefe, schlug unten auf einem harten Stein auf, der mir den Schädel zertrümmerte und purzelte dann noch kurz den Hang herunter, ehe ich leblos in einer kleinen Pfütze liegen blieb.
Ach ja, ich hatte ganz vergessen zu erwähnen, dass ich ein Geist bin. Man wird so vergesslich im Jenseits. Aber lassen Sie sich nicht davon abhalten, dass ich in der materiellen Welt nur noch Matsche und in der anderen Welt nur noch ein Hauch im Wind bin. Wer meine Frau ermordet hat, weiß ich übrigens auch noch nicht. Ich kann Ihnen nur so viel sagen, dass ich es nicht gewesen bin. Ich würde eher auf Magnus tippen. Der alte Däne hat ja Potential, wie Sie sehen. Ich entschuldige mich jedenfalls bei Ihnen dafür, dass ich Sie mit meiner Einleitung ein wenig hinters Licht geführt habe. Es kommt nicht wieder vor. Versprochen.
Aber leider obliegt die Aufklärung des Falles einem Volltrottel. Nun, zumindest dachte ich das, bis der Mann auf den Plan trat, der uns vielleicht alle hätte retten können, wenn er nicht selbst ein wenig abgelenkt gewesen wäre. Aber ich möchte ihm keine Vorwürfe machen. Hier im Jenseits ist man sehr nachsichtig mit den Lebenden.
Also: Auftritt Francis Rickenbacker!