Have a break, write a book

Monat: Dezember 2022

Der Tag, an dem Oskar seine Frau erschoss – Kapitel 9 – Magnus

Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Wir machten uns auf den Weg. Jetzt bei Licht betrachtet kam mir der Weg ganz anders vor als noch letzte Nacht. War das Gras wirklich so hoch gewesen? Ich kam zu dem Schluss, dass ich in der Nacht wirklich etwas zu viel getrunken hatte. Wir erreichten die Stelle von letzter Nacht. Auf dem Boden lag noch Magnus’ Bierdose.
„Hier wollten wir schießen“, sagte Magnus.
„Ich hatte schon die Blumentöpfe aufgestellt – dort hinten können Sie sie sehen – als Magnus einfiel, dass er die Munition im Auto hatte liegen lassen.“
„Ich wahre die Munition immer getrennt von den Waffen auf.“
„Sehr vorbildlich“, sagte der Kommissar.
Ich hörte verwirrt zu. Aber wir hatten doch gestern Abend geschossen. Ich hatte ein paar Mal geschossen und Tom hatte die vier Blumentöpfe der Reihe nach umgeballert. Doch jetzt standen sie wieder da. Aufgereiht wie Zinnsoldaten.
„Tom“, sagte ich, „wir haben doch gestern geschossen. Also du und ich.“
Tom schüttelte den Kopf.
„Erinnerst du dich nicht mehr? Du hast abgedrückt, aber kein Schuss fiel. Dann erst bemerkte Magnus, dass er die Patronen im Auto vergessen hatte. Wir haben uns halbtot gelacht und sind zurückgelaufen. Ich war nur zu faul, die Blumentöpfe wieder zu holen.“
„Hier wurde also nicht geschossen“, sagte der Kommissar. „Wir werden den Boden und den Wald aber natürlich dennoch nach Schussspuren untersuchen.“
Jetzt wandte er sich an mich.
„Es wäre also ganz interessant, Herr Wolter, wenn Sie erklären könnten, wie die Schmauchspuren an Ihre Hand gekommen sind.“
Mir wurde heiß und kalt zugleich. Was lief hier? Hatte ich nun geschossen, oder nicht? Wir waren doch hier gewesen. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass ich versucht hatte, zu schießen, die Waffe aber ungeladen gewesen war. Und dann hatten Tom und Magnus tatsächlich gelacht. Und was war dann passiert? Waren wir tatsächlich zum Schloss zurückgekehrt? Hatte ich am Ende doch Gloria erschossen?
„Ich erinnere mich nicht mehr so genau“, sagte ich.
„Wir kehren jetzt zum Schloss zurück. Dann händigen Sie mir beide Waffen aus. Und Sie kontaktieren am besten mal Ihren Anwalt.“
Mir wurde schwindelig. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus, hielt kurz die Luft an und zählte bis zehn. Das Schwindelgefühl verflog.
„Das wird wohl das Beste sein. Wenn ich nur wüsste, wo ich die Nummer meines Anwalts habe.“
„Die kriegen wir schon noch heraus“, sagte der Kommissar.
Schweigend gingen wir den Weg zurück. Währenddessen verfestigte sich in meinem Geist ein Bild der letzten Nacht. Ich hatte zu viel getrunken, war mit Tom und Magnus draußen am Waldrand gewesen, hatte eine der Pistolen eingesteckt und damit anschließend meine Frau erschossen. So könnte es gewesen sein. Das Problem war nur, dass es nicht so gewesen war. Was also war wirklich los?
Wir erreichten das Schloss. Magnus führte den Polizist zu seinem Wagen. Er öffnete den Kofferraum. Dort standen die zwei Kisten. Eine war aufgebrochen. Die Waffe fehlte.
„Die Munition verwahre ich unter dem Vordersitz. Moment!“
Magnus öffnete die Fahrertür und zog eine kleine Schachtel unter dem Sitz heraus. Er reichte sie dem Kommissar.
„Das Kaliber stimmt auf jeden Fall mit dem des Mordopfers überein“, sagte der Kommissar. „Wir werden feststellen, ob auch die Waffe als Mordwaffe in Frage kommt.“
Wieder wandte er sich an mich.
„Vielleicht gehen Sie mal lieber hoch in Ihr Zimmer und packen ein paar Sachen ein. Es könnte durchaus sein, dass wir uns etwas länger unterhalten müssen.“
Ich nickte wie eine Marionette. Dann ging ich hoch in unser Zimmer. Glorias Kleid hing auf einem Kleiderbügel, ihre Handtasche war nirgends zu sehen. Also hatte sie sie dabeigehabt, als sie erschossen wurde. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich die Handtasche unten im Durchgang gesehen hatte. Ich wollte nur noch schlafen und aus diesem schrecklichen Albtraum erwachen. Vielleicht saß Gloria dann ja an ihrem Platz in unserer Küche.
Ich stopfte meine Klamotten, die ich bei meiner Ankunft getragen hatte, in den kleinen Reisekoffer. Dann setzte ich mich aufs Bett. Was für ein Schlamassel.
Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Wer mochte das sein? Der Kommissar? Oder vielleicht war es ja Juliette oder Henrietta oder Sophia. Es war Magnus.
„Was willst du?“, fragte ich ihn.
Ehe ich mich versah, packte er mich an Hosenbund und Kragen und zerrte mich durchs Zimmer. Er schleuderte mich durch das Fenster. Die alten Fensterscheiben hatten meinem Gewicht und der Wucht das Wurfes nichts entgegenzusetzen. Und so segelte ich zwei Stockwerke in die Tiefe, schlug unten auf einem harten Stein auf, der mir den Schädel zertrümmerte und purzelte dann noch kurz den Hang herunter, ehe ich leblos in einer kleinen Pfütze liegen blieb.
Ach ja, ich hatte ganz vergessen zu erwähnen, dass ich ein Geist bin. Man wird so vergesslich im Jenseits. Aber lassen Sie sich nicht davon abhalten, dass ich in der materiellen Welt nur noch Matsche und in der anderen Welt nur noch ein Hauch im Wind bin. Wer meine Frau ermordet hat, weiß ich übrigens auch noch nicht. Ich kann Ihnen nur so viel sagen, dass ich es nicht gewesen bin. Ich würde eher auf Magnus tippen. Der alte Däne hat ja Potential, wie Sie sehen. Ich entschuldige mich jedenfalls bei Ihnen dafür, dass ich Sie mit meiner Einleitung ein wenig hinters Licht geführt habe. Es kommt nicht wieder vor. Versprochen.
Aber leider obliegt die Aufklärung des Falles einem Volltrottel. Nun, zumindest dachte ich das, bis der Mann auf den Plan trat, der uns vielleicht alle hätte retten können, wenn er nicht selbst ein wenig abgelenkt gewesen wäre. Aber ich möchte ihm keine Vorwürfe machen. Hier im Jenseits ist man sehr nachsichtig mit den Lebenden.
Also: Auftritt Francis Rickenbacker!

Der Tag, an dem Oskar seine Frau erschoss – Kapitel 8 – Strobel

Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Der Mann, der da auf uns zu kam, wirkte in etwa so, wie ich mich fühlte: Vollkommen zerknautscht – einfach nur beschissen.
„Guten Morgen, Strobel mein Name. Hauptkommissar. Wer von Ihnen ist Juliette Murot?“
„Das bin ich.“
„Sie haben eine Leiche entdeckt?“
„Dort drüben in dem kleinen Durchgang zum Hinterhof.“
„Zeigen Sie sie mir. Und Sie warten bitte auf meine Kollegen. Wie heißen Sie, wenn ich fragen darf.“
„Mein Name ist Henrietta Wolter. Das ist mein Neffe Oskar Wolter. Die Tote ist seine Frau.“
War, dachte ich. Gloria war meine Frau.
„Vielleicht holen Sie schon einmal Ihre Ausweispapiere. Dann fällt es meinen Kollegen leichter, Ihre Personalien aufzunehmen. Und Sie, kommen mit mir.“
Er hatte auf mich gedeutet. Also fragte ich: „Meinen Sie mich?“
„Genau Sie. So wie Sie aussehen, haben Sie die Leiche Ihrer Frau ebenfalls schon gesehen. Da wird es Ihnen ja wohl nichts ausmachen, wenn Sie sie ein zweites Mal sehen.“
Ungehobelter Klotz, dachte ich.
Juliette und ich gingen mit dem Kommissar nach drinnen. Vor dem großen Saal bogen wir ab zur Hintertür.
„Wir haben die Tür wieder abgeschlossen“, sagte Juliette.
„Das war richtig von Ihnen“, antwortete der Kommissar. „Schließen Sie bitte wieder auf und dann geben Sie mir den Schlüssel. Ich brauche alle Schlüssel zu dieser Tür.“
„Das sind aber eine Menge“, sagte Juliette.
„Wieso?“
„Na, jedes Zimmer hat einen bekommen.“
Juliette reichte dem Kommissar den Schlüssel, der ihn interessiert betrachtete.
„Das ist ein Berliner Durchgangsschlüssel“, sagte ich.
„Ich weiß“, sagte der Kommissar.
Er schloss die Tür auf und zückte eine kleine Taschenlampe.
„Es gibt auch einen Lichtschalter“, sagte Juliette.
„Wissen Sie, ich überlege gerade, ob Sie nicht doch lieber vorne warten“, sagte der Kommissar.
„Ich wollte nur helfen.“
Der Kommissar ließ uns stehen und ging langsam auf Glorias Leichnam zu. Ich wandte den Blick ab und konzentrierte mich auf die Details im Vorraum. Da stand eine Uhr – so ein altes klobiges Teil, bei dem man erwartete, dass sie zu jeder vollen Stunde einen Heidenlärm veranstaltete – und eine seltsame Stelle an der Wand, die mir jetzt tatsächlich zum ersten Mal auffiel. Eigentlich hätte ich sie schon gestern sehen müssen, aber da war ich wohl zuerst zu beschäftigt und später dann zu betrunken gewesen. Die Wand war weiß verkleidet. An der seltsamen Stelle schien sich vor einiger Zeit eine Tür befunden zu haben, bis man übereingekommen war, die Tür zuzumauern. Wer weiß, wohin die Tür ursprünglich mal geführt haben mochte.
„Da haben wir dann wohl die Tatwaffe“, verkündete der Kommissar.
Ich blickte wieder in den Durchgang. Der Polizist hockte etwas abseits der Leiche und hielt eine Pistole in der Hand. Er hatte sich mittlerweile ein paar Handschuhe übergestreift und fasste die Pistole nur mit Daumen und Zeigefinger am Lauf. Die Waffe kam mir sehr bekannt vor.
„Das ist die Waffe von Magnus“, entfuhr es mir.
„Wer ist Magnus?“, fragte der Polizist.
„Das ist der Barkeeper“, sagte Juliette.
„Wieso läuft Ihr Barkeeper mit einer Walther P99 rum?“
„Er hatte sie im Auto verstaut“, sagte ich.
Von draußen näherten sich Schritte. Ein Mann und eine Frau sahen zur Tür herein.
„Ist Strobel da?“, fragte die Frau.
Der Kommissar hörte das und kam aus dem Durchgang zu uns in den Vorraum.
„Ah, die Spusi. Ich hätte hier ein Waffe, eine Leiche und unzählige Spuren.“
„Von denen du mindestens die Hälfte zertreten hast, du Trampel“, sagte die Frau.
„Du kannst mich mal gern haben, Janine. Ich brauche so schnell wie möglich die Fingerabdrücke auf dieser Waffe. Außerdem die Fingerabdrücke von diesem Barkeeper und am besten gleich von allen, die hier übernachten.“
„Ich hätte dann gerne noch einen Eiskaffee Latte mit einem Schuss Haselnuss“, sagte die Frau.
„Bringe ich dir sofort“, schnaubte der Kommissar.
Er wandte sich an uns.
„Sie beide erzählen mir jetzt, wer wann wie wo die Leiche gefunden hat.“
Mir wurde auf einmal flau im Magen – also noch flauer als ohnehin schon. Ich hatte die Leiche gefunden und ich wurde neben der Leiche gefunden. Und ich verwettete meine Tankstelle darauf, dass Gloria mit der Waffe erschossen worden war, die ich in der Hand gehalten hatte. Also mussten meine Fingerabdrücke darauf sein.
„Machen wir es kurz“, sagte ich. „Sie werden meine Abdrücke auf der Waffe finden. Oder die von Tom und Magnus. Ich habe Gloria in der Nacht gefunden und dann irgendwie das Bewusstsein verloren. Als ich wieder aufgewacht bin, kam auch schon Juliette.“
„Du hast furchtbar geschrien.“
„Setzen wir uns erst einmal hin. Und vielleicht können Sie irgendwo einen Kaffee auftreiben.“
Wir gingen in den Saal und setzten uns an einen Tisch. Diesmal war es nicht Glorias Sitzplatz.
„Ich hole den Kaffee“, sagte Juliette.
„Dann fangen wir mit Ihnen gleich mal an“, sagte der Kommissar. „Erzählen Sie mir doch einmal, wie Ihre Fingerabdrücke auf diese Waffe gekommen sein könnten.“
Ich erzählte dem Kommissar von unserem kleinen Ausflug gestern. Er hob die Augenbrauen und hielt die Luft an. Mir war egal, ob ich Tom und Magnus damit in eine brenzlige Situation bringen würde. Gloria war tot und da konnte ich doch keine Rücksicht auf zwei schießfreudige Männer nehmen.
„Sie haben also auf ein paar Tontöpfe gefeuert. Könnten Sie uns zeigen, wo das war?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Es war dunkel und ich war nicht so recht bei Sinnen.“
„Lassen Sie mich raten: Sie hatten ganz schön was getrunken.“
Erwischt.
„Ich kann mich nicht mehr an den Weg erinnern. Aber Tom wird Ihnen die Stelle zeigen können.“
„Das werden wir nachher überprüfen. Sie sagten, Sie hätten dort geschossen.“
„Und Tom.“
Der Kommissar zückte sein Telefon. Es dauerte einen Moment, ehe am anderen Ende abgehoben wurde.
„Ich brauche hier einen Schmauchspurentest und bringen Sie mir einen Tom …“
Der Kommissar sah mich fragend an.
„Wolter“, sagte ich.
„… einen Tom Wolter. Ebenfalls zum Schmauchspurentest.“
Er legte wieder auf.
„Sie haben nach dem Schießen also nach Ihrer Frau gesucht und sie dann schließlich in dem Durchgang entdeckt. Und dann?“
„Dann bin ich ohnmächtig geworden. Und als ich wieder aufgewacht bin, kam irgendwann Juliette. Ich muss wohl ziemlich laut geweint haben.“
In der Ferne hörte ich einen LKW oder einen Güterzug rumpeln.
„Da hat jemand geduscht“, sagte ich.
„Was?“
„Jemand hat geduscht. Davon bin ich wach geworden. Die Leitungen hier sind sehr laut.“
„Wann war das?“
„Das müsste gegen halb drei gewesen sein.“
„Haben Sie da drinnen irgendwas angefasst?“
„Meine Frau natürlich. Ich habe sie in den Arm genommen.“
„Aber die Waffe haben Sie nicht angerührt, oder?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Dann gehen Sie mal zu meinen Kollegen und geben Ihre Fingerabdrücke ab. Wir reden später noch einmal. Vielleicht kommt Ihnen bis dahin in den Sinn, wer Ihre Frau getötet haben könnte – außer Ihnen selbst natürlich.“
Ich ging nach vorne und suchte die Polizistin, bei der ich meine Fingerabdrücke nehmen lassen sollte. Magnus kam mir entgegen. Er wirkte verstört.
„Stimmt es, dass …“
Ich nickte.
„Jemand hat meine Frau erschossen. Möglicherweise mit deiner Waffe.“
„Was?“, fragte er.
„Sind Sie Magnus?“, fragte der Kommissar.
„Ja.“
„Würden Sie bitte kurz zu mir kommen? Ich habe einige Fragen zu Ihrer Waffe – und zu gestern Abend.“
Magnus betrat den Saal. Ich ging zum Durchgang und steckte meinen Kopf in den schmalen Flur. Man hatte Glorias Leiche bereits abtransportiert.
„Ich soll hier meine Fingerabdrücke abgeben.“
Die Polizistin drehte sich um.
„Warten Sie bitte noch einen Moment draußen.“
Ich drehte mich um und ging vor die Tür. Die Luft war kühl und die Sonne war bereits am Aufgehen. Ich blickte über die Felder. Gestern hatte ich die Landschaft gar nicht wirklich wahrgenommen. Ich tastete meine Hosentasche nach Zigaretten ab, fand aber keine. Also ließ ich meine Gedanken schweifen.
Wer könnte Gloria ermordet haben? Und was hatte sie in dem Durchgang gewollt. Wieso war sie nicht auf unserem Zimmer gewesen? Oder war sie vielleicht doch schon einmal … Ich stutzte. Gloria hatte nicht mehr ihr Kleid getragen, sondern eine Jeans und ein T-Shirt. Sie war also zwischenzeitlich mal auf unserem Zimmer gewesen, hatte sich umgezogen und war dann noch einmal nach unten gegangen. Wieso?
„Kommen Sie bitte rein?“
Die Polizistin riss mich aus meinen Gedanken.
Ich drehte mich um und ging nach drinnen. Dort hielt mir die junge Polizistin ein Stempelkissen entgegen. Ich drückte mit jedem meiner Finger in die schwarze Tinte und presste die Fingerspitzen dann auf die entsprechende Fläche auf einer Kartei – ich kam mir dabei vor wie ein Mörder in einem Fernsehfilm.
Danach untersuchte die Polizistin meine Hände.
„Das sieht ganz deutlich nach Schmauchspuren aus“, sagte sie. „Die sehe ich mir nachher im Labor genauer an. Bitte nicht mehr waschen.“
Ich sah meine Hände an. Erst jetzt bemerkte ich einen schwarzen Fleck wie von Ruß. Er musste vom Schuss mit der Pistole stammen.
„Das wärs fürs Erste. Sie können gehen.“
Ich drehte mich um und sah den Kommissar aus dem großen Saal kommen. Magnus folgte ihm. Die beiden kamen auf mich zu.
„Kommen Sie bitte mit nach draußen“, sagte der Kommissar.
An seine Kollegin gewandt sagte er: „Können Sie bitte einen gewissen Tom Wolter herholen?“
„Den haben wir schon hier. Fingerabdrücke sind schon genommen und abgeglichen. Er ist sauber. Schmauchspuren konnte ich auf den ersten Blick keine erkennen. Aber vielleicht finde ich später was im Labor.“
„Keine Übereinstimmung mit den Abdrücken auf der Waffe? Keine erkennbaren Schmauchspuren an der Hand?“
Die Polizistin schüttelte den Kopf.
„Also einer weniger. Er soll trotzdem mitkommen.“
„Wohin?“, fragte ich.
„Wir machen einen Spaziergang zu der Stelle im Wald, an der Sie angeblich geschossen haben.“
Was meinte der Kommissar mit angeblich?

Der Tag, an dem Oskar seine Frau erschoss – Kapitel 7 – Juliette

Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Ich erwachte von dem Dröhnen des Güterzugs, der über meinen Kopf gefahren sein musste. Jedenfalls brummte mein Schädel, als habe er Bekanntschaft mit einer alten Diesellock gemacht. Vor meinem Auge war alles rot. Weinrot und blutrot. Ich blinzelte, doch das tiefe Rot blieb. Es verschwand nicht. Es war so beharrlich, wie die Tatsache, dass ich wusste, in wessen Blut ich lag. Ein weiterer Güterzug überfuhr mich und rüttelte an meinem Verstand. Ich erinnerte mich wieder daran, wo ich war: Auf Tante Henriettas Geburtstagsfeier draußen in Brandenburg; in einem Durchgang, dessen Tür ich mit einem dieser altmodischen Schlüssel erst auf- und dann wieder zugeschlossen hatte; zu Füßen der Leiche meiner Frau, die drei fürchterliche Wunden in ihrem Bauch hatte.
Wieder dröhnte es und schlagartig wurde mir klar, dass das die alte Dusche sein musste. Gloria hatte darauf bestanden, dass ich noch einmal duschen sollte, bevor ich mich in Schale warf. Gloria würde auf nichts mehr bestehen, so viel stand fest. Ich blickte auf ihre Leiche – sie war schon ganz blass – und begann gleichzeitig zu weinen und mich zu erbrechen. Ich beugte mich zur Seite, damit ich meinen Mageninhalt nicht auf Gloria verteilte. Als nichts mehr kam, fing ich laut an zu weinen. Ich steigerte mich in meine Trauer hinein, bis ich schließlich schreiend neben meiner toten Frau auf dem Boden lag.
Wer konnte ihr das nur angetan haben? Wer konnte sie erschossen haben?
Ich nahm ihren leblosen Kopf in die Arme und küsste ihre kalte Stirn.
Draußen klopfte es an der Tür.
„Wer weint denn da so?“, fragte eine Frauenstimme.
Ich weinte einfach weiter.
„Ist alles in Ordnung?“
Ich schüttelte den Kopf. Mir war es egal, dass die Frau vor der Tür meine Reaktion nicht sehen konnte.
„Ich komme jetzt rein“, sagte die Frauenstimme.
Es scharrte an der Tür. Gloria blickte hinauf zur Decke. Ich sah in die toten Augen meiner Frau. Es scharrte weiter an der Tür.
„Sie müssten drinnen den Schlüssel abziehen. Sonst kann ich nicht zu Ihnen kommen“, sagte die Frau.
Ich erinnerte mich an den Schlüssel, den Gloria mir gegeben hatte. So einen hatte ich früher als Kind nur bei meiner Oma gesehen. Oder war es bei Onkel Ferdinand gewesen? Ich war mir nicht mehr sicher. Auf dem Boden lag ebenfalls ein Schlüssel. Das musste der Schlüssel sein, mit dem Gloria in den Durchgang gekommen war. Wie war ich noch gleich hierher gelangt? Ich erinnerte mich nicht mehr.
„Bitte ziehen Sie den Schlüssel ab“, sagte die Frauenstimme.
Ich saß noch eine Weile reglos am Boden und hielt den leblosen und jetzt vollkommen nutzlosen Kopf meiner Frau im Arm. Dann legte ich ihn behutsam auf dem Boden ab – in ihrem Blut. Ich stand auf und ging mit zittrigen Schritten zur Tür. Ich griff nach dem Schlüssel und fragte mich, wieso ich ihn nicht abgezogen hatte. Natürlich war ich nicht dazu gekommen, weil ich den leblosen Körper meiner Frau gesehen hatte. Ich drehte den Schlüssel im Schloss und zog die Tür auf. Auf der anderen Seite stand die Zimmergenossin meiner Tante.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte Juliette.
„Nein“, sagte ich und fing wieder an zu weinen.
„Was ist denn …“
Sie brach mitten im Satz ab, da sie offensichtlich Glorias Leiche entdeckt hatte.
„O mein Gott. Ist sie … Haben Sie sie … Ist Ihre Frau etwa tot?“
„Ja, ist sie. Nein, habe ich nicht – glaube ich jedenfalls.“
„Was ist passiert?“
„Ich weiß es nicht.“
Juliette starrte an mir vorbei hinüber zu Gloria. Ich schwankte benommen hin und her. Um mich herum drehte sich jetzt alles. Mein Kreislauf brauchte scheinbar noch einige Zeit, bis er wieder in Schwung kam.
„Wir müssen die Polizei rufen“, sagte Juliette.
„Tun Sie das bitte.“
„Und für Sie einen Arzt.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Keinen Arzt. Was ich brauche, ist ein starker Kaffee.“
„Ich mache Ihnen welchen.“
Erst jetzt hatte ich die Gelegenheit, Juliette genauer zu betrachten. Sie trug nur noch einen Pyjama. Ihre langen grauen Haare fielen ihr wirr auf die Schultern. Wie spät mochte es wohl sein? Wie lange war ich ohnmächtig gewesen?
„Kommen Sie. Wir schließen hier einfach wieder ab und dann rufen wir die Polizei. Und ich koche Ihnen einen Kaffee.“
„Danke …“
„Juliette.“
„Ich weiß, wie Sie heißen.“
„Und Sie sind Oskar, nicht wahr?“
Ich nickte.
Wir gingen in den Saal, der jetzt vollkommen leer war. Ich setzte mich auf meinen Platz. Vor schier endlos langer Zeit hatte ich hier mit Gloria gesessen. Jetzt lag sie hinten im Durchgang wie ein Stück Abfall.
„Ich komme sofort wieder.“
Juliette ging nach vorne. Ich tastete meine Taschen ab. Schließlich fand ich mein Smartphone. Ich zog es heraus und sah auf die Uhr. Es war drei Uhr in der Früh. Wie lange war ich ohnmächtig gewesen?
„Die Polizei kommt sofort“, sagte Juliette, als sie wieder in den Saal kam. „Ich habe auch einen Arzt angerufen. Er wird sie untersuchen. Außerdem habe ich eine Kanne Kaffee aufgesetzt.“
Ich sagte nur: „Danke.“ Mehr brachte ich gerade nicht heraus.
„Wir sollten auf jeden Fall Henrietta über den schrecklichen Tod ihrer Frau unterrichten.“
Ich nickte langsam. Schließlich fragte ich: „Ist Ihnen eigentlich klar, dass Gloria erschossen wurde? Und haben Sie auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, dass ich es gewesen sein könnte, der ihr das angetan hat? Immerhin war ich mit ihr in dem Durchgang eingeschlossen.“
„Ich bin doch nicht dumm“, sagte Juliette. „Natürlich habe ich das Blut und die Schusswunden gesehen. Doch Sie haben ja keine Waffe.“
Ich hatte zumindest keine in der Hand gehabt, als ich aufgewacht war. Aber so genau hatte ich mich in dem dunklen Durchgang nicht umgesehen.
„Wir sollten das überprüfen“, sagte ich.
„Was? Wollen Sie jetzt zur Leiche Ihrer Frau? Das würde ich lieber nicht machen. Bestimmt sind die Polizisten darüber sehr verärgert, wenn wir dort alles in Unordnung bringen.“
Bei dem Wort „Unordnung“ hätte ich beinahe gelacht. Gibt es etwas unordentlicheres als den Tod? Und doch bringt der Tod letztlich alles in Ordnung. Wir werden alle aufgereiht an der Pforte zum Jenseits – wenn es so etwas überhaupt gibt.
„Dann bleiben wir wohl doch lieber hier.“
„Ich hole den Kaffee“, sagte Juliette und verschwand.
Ich sah wieder auf mein Smartphone. Vom Hintergrund strahlte mich eine noch lebende Gloria an. Das Foto stammte von unserem letzten Urlaub in Italien. Jetzt würden keine weiteren Fotos hinzukommen – außer vielleicht irgendwelche grauenhaften Bilder, die die Polizei schießen würde.
Wer hatte das getan? Wer hatte meine Gloria umgebracht? Und warum?
Juliette kam mit dem Kaffee zurück.
„Ich habe Henrietta geweckt. Sie wird gleich nach unten kommen.“
„Wer tut sowas?“, fragte ich laut.
„Die Polizei wird es herausfinden.“
„Ihre Zuversicht möchte ich haben.“
Juliette lächelte.
„Das ist nicht mein erster Mord. Mein Mann wurde ebenfalls umgebracht.“
Ich stutzte.
„Wann war das?“
„Vor beinahe fünfundzwanzig Jahren. Wir waren in Norddeutschland im Urlaub. Es war ein herrlicher Tag. Wir lagen nur am Strand und ließen uns die Sonne auf den Bauch scheinen. Ich war nur einmal kurz weg, um mir an einem Kiosk eine Zeitung zu kaufen – meinen Roman hatte ich in einem Stück durchgelesen – und als ich wiederkam, lag er da und röchelte. Jemand hatte auf ihn eingestochen. Und das alles nur, um an die Spiegelreflexkamera zu kommen, die mein Mann mitgenommen hatte.“
„Und die Polizei hat den Täter geschnappt?“
Juliette nickte.
„Es dauerte keinen Tag. Der Mörder war ein berüchtigter Dieb. Er hat die Tat sofort gestanden. Er hatte wohl aus Panik auf meinen Mann eingestochen.“
„Was für ein sinnloser Tod“, sagte ich.
Juliette atmete hörbar aus.
„Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass die Polizei den Mörder Ihrer Frau fassen wird. Schließlich kann er nicht weit sein.“
„Sie meinen, er ist hier aus der Gegend?“
„Wer weiß. Vielleicht ist es sogar jemand, den Sie kennen.“
Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht. Doch jetzt, wo diese Tür aufgestoßen war, flogen die Gesichter an mir vorüber. Da war Sophia. Annabelle. Der seltsame Herr in dem altmodischen Anzug. Tom und Magnus. Und ich.
Die Tür ging auf und Henrietta kam herein.
„O mein lieber Oskar, es tut mir so leid.“
Sie umarmte mich, was gut tat.
„Wo liegt sie denn?“
„Drüben im Durchgang zum Hinterhof“, sagte Juliette.
„Sieht sie arg schlimm aus?“
„Alles ist voller Blut. Sie ist schon ganz bleich.“
„Die Arme.“
Henrietta drückte mich noch einmal fest. Dann hörten wir draußen einen Wagen vorfahren.
„Das wird die Polizei sein. Oder der Arzt“, sagte Juliette und stand auf.
Wir gingen nach draußen. Auf dem Parkplatz stand ein dunkler Mercedes. Ein älterer Mann stieg gerade aus. Er zertrat eine Zigarette auf dem Boden und kam dann auf uns zu.

Der Tag, an dem Oskar seine Frau erschoss – Kapitel 6 – Tom

Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Magnus stiefelte über den Parkplatz zu seinem Subaru. Er öffnete den Kofferraum und schob eine Decke zur Seite. Ich begann allmählich zu frieren. Die Wirkung des Alkohols ließ nach, so dass mein Körper wieder in der Lage zu sein schien, die Kälte der Nacht zu spüren. Außerdem musste ich ganz dringend zur Toilette.
„Was genau wollt ihr mir zeigen?“, fragte ich Tom.
„Hast du schon einmal geschossen?“, fragte Tom zurück.
Ich liebe ja Leute, die nicht auf meine Fragen eingehen.
„Nicht mehr, seit ich damals den Hahn von Onkel Rainer mit dem Luftgewehr erlegt habe“, sagte ich.
Ich hatte überhaupt keinen Onkel Rainer und auf Hähne hatte ich auch noch nie geschossen. Tom ging nicht auf meine plumpe Lüge ein.
„Magnus hat ein Paar Walther P99 dabei.“
„Ein Paar?“, fragte ich entsetzt.
„Japp. Zwei Stück. Gabs im Doppelpack.“
Ich wollte plötzlich noch dringender nach drinnen. Ich hatte keine Lust mich in angetrunkenem Zustand mit einem Waffennarr einzulassen.
„Ich dachte, wir schießen mal auf ein paar Blumentöpfe“, schlug Tom vor.
„Ich weiß nicht“, sagte ich nur.
„Ach komm schon. Das haben wir in Kabul andauernd gemacht“, sagte Tom.
Tom war für ganze zwei Jahre in Afghanistan stationiert. Alles, was er von dort mitgebracht hatte, waren eine Narbe über dem linken Auge und ein paar seltsame Angewohnheiten – und Magnus.
„War Magnus etwa auch dort?“, fragte ich, um Zeit zu gewinnen.
„Japp. Gleiches Lager.“
„Ich dachte, du wärst …“
„Däne. Ich bin Däne. Aber auch wir Dänen haben dort gekämpft.“
„Und da habt ihr euch kennengelernt?“
„Japp. Tom, Luca und ich.“
„Wer ist Luca?“
„Luca war ein Kamerad“, sagte Tom. Seine Stimme klang auf einmal trocken.
„Ist er gefallen?“
„Lass uns nicht darüber reden.“
Tom packte mich am Arm.
„Komm. Wir gehen in den Wald und schießen auf ein paar Blumentöpfe.“
Tom hatte mein Interesse geweckt. Und was konnte schon passieren? Wir würden ein paar Mal in die Nacht hinausschießen und dann wieder zurück zum Schloss gehen.
Wir gingen los. Magnus hatte die Kiste mit den Pistolen unten den Arm geklemmt. In der freien Hand trug er eine Dose Bier. Tom trug tatsächlich vier kleine Terrakottatöpfe. Wir brauchten etwa fünf Minuten, um den Wald zu erreichen. Immer wieder kam mir in den Sinn, dass das Ganze eine seltendämliche Idee wäre. Doch die Neugierde war zu groß.
Als wir den Waldrand erreichten, stellte Tom die Töpfe auf einen Zaun. Dann liefen wir in einem Bogen zurück, bis wir die Töpfe gerade noch so sehen konnten. Wir standen jetzt etwa zwanzig Meter vom Zaun entfernt.
„Auf diese Entfernung treffe ich doch nie“, sagte ich.
„Probieren wir es doch erst einmal“, sagte Magnus, zerdrückte die nun leere Bierdose mit der Hand und warf sie auf den Boden.
Er öffnete die Kiste und nahm eine Waffe heraus.
„Hier, nimm die. Aber ziele damit bloß nicht auf mich oder Tom, die Waffe hat nämlich keine Sicherung.“
Ich nahm die Waffe. Sie lag schwer in meiner Hand. Ihr Griff fühlte sich kühl an. Mein Herz raste.
„Fass sie ab besten mit beiden Händen.“
Tom stellte sich neben mich und zeigte mir an der zweiten Waffe, wie ich die Pistole zu halten hatte. Ich richtete die Waffe nach vorne aus.
„Zielen und dann abdrücken.“
Mein Herz pochte jetzt wild wie der knatternde Motor von Susis Moped. Schweiß trat auf meine Stirn. Würde ich mir – wie ich es schon einmal in einem Film gesehen hatte – durch den Rückstoß eine blutige Nase holen? Wie sollte ich das Gloria erklären?
Ich nahm den Blumentopf ins Visier und legte meinen Zeigefinger um den Abzug. Dann krümmte ich langsam den Finger. Der erwartete Schuss blieb aus. Kein Knall, kein Rückstoß, nix.
Magnus und Tom brachen in schallendes Gelächter aus.
„Was ist?“, fragte ich verwirrt. Mein Herz hatte sich immer noch nicht beruhigt.
„Wie wäre es, wenn du die Waffe lädst, bevor du schießt?“, fragte Magnus und reichte mir eine kleine graue Schachtel.
Ich drehte mich zu ihm um – die Waffe in der Hand – und wollte gerade nach der Schachtel greifen, als er mich scharf anfuhr: „Und ziele nie wieder mit einer Waffe auf mich! Verstanden?“
Ich nickte nur stumm, leicht verwirrt.
„Selbst, wenn die Waffe nicht geladen ist. Man kann nie wissen.“
Wieder nickte ich.
„Jetzt lass ihn halt in Ruhe“, sagte Tom. „Er konnte es doch nicht wissen.“
„Es tut mir leid“, sagte ich nur.
Ich hatte die Lust aufs Schießen verloren.
„Schon in Ordnung“, sagte Magnus. „Drück mal da auf den Knopf.“
Ich betätigte den Knopf und das Magazin fiel aus dem Griff der Waffe heraus.
„Und jetzt steck die Patronen einzeln dort rein.“
Mit zittrigen Fingern nahm ich die Patronen und schob sie in die Öffnung des Magazins. Mit jeder Patrone beruhigte sich meine Hand etwas mehr.
„Sehr gut. Und jetzt schießt du wirklich auf den Blumentopf.“
Ich drehte mich in Richtung des Waldes und hob die Waffe. Wieder begann mein Herz zu rasen. Ganz langsam betätigte ich den Abzug.
Der Schuss war so ohrenbetäubend laut, dass ich vor Schreck beinahe die Waffe fallen gelassen hätte.
Magnus fasste mich am Arm und nahm mir langsam die Waffe aus der Hand.
„Ich glaube, ich möchte jetzt zurückgehen“, sagte ich.
„Ist vielleicht auch besser so“, sagte Magnus. „Du wirkst etwas nervös.“
„Ich kümmere mich nur noch schnell um die Blumentöpfe“, sagte Tom und hob seine Waffe. Er gab vier schnelle Schüsse ab. Bei jedem Knall zuckte ich erneut zusammen. Ich war mir sicher, dass ich nie wieder etwas hören würde, doch ich vernahm nach jedem Schuss ein leises Klirren. Tom hatte viermal ins Schwarze getroffen.
Wir verstauten die Waffen in den Kisten und gingen zurück zum Schloss. Ich bedankte mich bei Tom und Magnus für das abenteuerliche Erlebnis und entschuldigte mich noch einmal für mein Ungeschick und meinen Fauxpas mit der Waffe.
„Kein Problem“, sagte Magnus. „Das Ding war ja nachweislich nicht geladen.“
Ich ging nach drinnen um Gloria zu suchen, doch ihr Platz war leer. Sophia saß allein vor einem Glas Wein.
„Hast du Gloria gesehen?“, fragte ich.
„Nein“, antwortete Sophia tonlos.
Sie schien immer noch niedergeschlagen wegen ihrer finanziellen Notlage. Doch darum würde ich mich kümmern, wenn ich wieder mein volles Hörvermögen erlangt hätte.
„Ich glaube, sie wollte sich um Getränkenachschub kümmern“, sagte Sophia jetzt.
„Weiß du, wo sie hin gegangen ist?“
„Nach hinten zum Hof.“
„Kannst du mir deinen Schlüssel geben?“, fragte ich.
„Na klar.“
Sophia kramte in ihrer Handtasche und reichte mir ihren Durchgangsschlüssel.
Ich ging nach draußen zum Durchgang. Ich schob den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Dann schob ich den Schlüssel durch das Schloss hindurch. Ich schlüpfte in den dunklen Gang und zog die Tür wieder hinter mir zu. Ich wollte den Schlüssel wieder abziehen, doch er blieb hängen. Ich erinnerte mich daran, dass man die Tür erst wieder abschließen musste. Also drehte ich den Schlüssel um. Dann sah ich sie.
Gloria lag mit vor Entsetzen geweiteten Augen in einer Lache aus Blut. In ihrem Bauch klafften drei Löcher. Das Blut war auf dem weinroten T-Shirt kaum zu sehen. Ich vergaß den Schlüssel und wollte zu Gloria eilen. Doch dann wurde mir schwarz vor Augen und ich sank zusammen.

Der Tag, an dem Oskar seine Frau erschoss – Kapitel 5 – Annabelle

Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Natürlich gab es den ganzen Abend lang kein anderes Gesprächsthema als Tante Henriettas Heirat und die Tatsache, dass sie offensichtlich den Großteil ihres Vermögens armen Kindern zugutekommen lassen wollte. Ich hatte kein Interesse daran, mich an dieser müßigen Diskussion zu beteiligen. Viel lieber würde ich noch ein weiteres Glas Rotwein trinken, doch ich fürchtete, dass mein Magen da anderer Meinung wäre als mein Geist. Also lehnte ich mich einfach auf meinem Stuhl zurück und beobachtete die Leute, die sich angeregt unterhielten.
Der Konzertflügel – oder wie auch immer das Ungetüm hieß, dass dort in der Ecke stand – war mittlerweile in Betrieb genommen. Ein Kerl im Anzug saß auf einer kleinen Bank davor und spielte gefühlvoll, wobei er ständig mit dem Oberkörper vor und zurück wogte. Ein paar der Gäste hatten sich von der Musik inspirieren lassen und waren am Tanzen. Ich hatte zu befürchten, dass Gloria demnächst ebenfalls auf die glorreiche Idee kommen würde, das Tanzbein zu schwingen.
Es war nicht Gloria sondern Sophia.
„Magst du mit mir Tanzen, Oskar?“, fragte sie mich.
Ich stand auf, nahm ihre Hand und führte sie dorthin, wo vor einer Stunde noch das herrliche Wildgulasch gestanden hatte. Welch Verschlechterung.
Der Pianist spielte einen ruhigen Walzer. Anfängerkram. Das kam mir sehr recht, denn mich als Anfänger zu bezeichnen, wäre noch die Übertreibung des Jahres. Oder wäre es eine Untertreibung? Der Wein verwirrte meinen Geist.
Wir verknoteten also unsere Gliedmaßen und bewegten uns rhythmisch in Kreisen übers Parkett. Außer uns sah ich noch Annabelle, die mit dem altmodisch gekleideten Herrn tanzte. Ich musste unbedingt in Erfahrung bringen, wie sein Name war.
„Aua“, sagte Sophia plötzlich.
Ich hielt inne, die Welt um mich herum drehte sich weiter.
„Was?“, fragte ich.
„Du bist mir auf den Fuß getreten“, sagte sie lachend.
„Das tut mir leid. Vielleicht probieren wir es mit was einfacherem.“
„Leichter als Walzer? Wir könnten uns im Stehen versuchen.“
Jetzt grinste sie auch noch spöttisch.
„So viel Wein, wie ich intus habe, dürfte sogar das schwer werden.“
„Wenn du magst, können wir aufhören.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, jetzt wird getanzt.“
Ich nahm ihre Hände und wirbelte motiviert drauf los und landete prompt auf ihrem anderen Fuß.
„Aua!“, sagte sie jetzt etwas lauter.
Hatte der Pianist etwa gegrinst?
„Ich glaube, du suchst dir besser einen anderen Tanzpartner“, sagte ich.
„Darf ich dir meinen anbieten?“, fragte Annabelle, die neben uns zum Stehen gekommen war.
„Wie bitte?“, fragte ich.
„Ich fragte, ob ich Ihnen“, sie deutete auf Sophia, „meinen Tanzpartner anbieten darf. Ich kann nämlich nicht mehr und ich glaube, Franni hat noch nicht genug.“
„Er mag es vor allem nicht, wenn man ihn Franni nennt“, sagte Mister Vierzigerjahreanzug.
„Wenn du nichts dagegen hast“, sagte Sophia an mich gewandt.
„Nein, nein. Das ist kein Problem. Bevor ich dir noch eine ersthafte Verletzung zufüge, sollte ich wohl besser einem guten Tänzer Platz machen.“
Wir entknoteten uns und ich stolperte einen Schritt zur Seite. Annabelle hielt mich am Ellbogen fest.
„Hey, fall mir mal nicht hin, Oskar“, sagte sie.
„Ich glaube, ich brauch mal einen Kaffee“, sagte ich.
„Dann holen wir dir mal einen. Komm, ich trinke sogar mit dir.“
Annabelle führte mich zur Kuchentheke, die in der Zwischenzeit von irgendeinem netten Geist in einer Ecke des Raums aufgebaut worden war, und goss zwei Tassen Kaffee ein.
„Weißt du, was du außerdem brauchst?“, fragte sie.
Ich antwortete, indem ich mit glasigem Blick in die Luft starrte.
„Du brauchst frische Luft. Komm, wir gehen nach draußen.“
Ich würde viel lieber an meinen Tisch gehen, oder wenigstens vorher meine Zigaretten holen. Doch Annabelle zog mich einfach mit.
Sie war viel jünger als ich – gerade mal zwanzig Jahre alt – und studierte noch Sozialpädagogik. Wenn man reich werden will, studiert man Sozialpädagogik. Wie genau der Verwandtschaftsgrad zwischen uns ist, kann ich überhaupt nicht sagen. Ich weiß nur, dass Annabelle auf irgendeiner Familienfeier – Weihnachten oder Ostern – kreischend in meinem Zimmer gesessen hatte und mit Kuscheltieren nach meiner Modelleisenbahn geworfen hatte. So entstehen Freundschaften fürs Leben.
„Kann es sein, dass du zu viel getrunken hast, Oskar?“, fragte sie mich.
„Das dürfte im Bereich des Möglichen liegen.“
„Der Wein ist aber auch zu gut.“
„Sündhaft gut.“
Wir lehnten uns an das Geländer der Veranda und tranken unseren Kaffee.
„Woher kennst du ‚Franni‘?“, fragte ich.
Sie lächelte.
„Vom Essen. Was dachtest du denn? Dass ich mir einen alten Knacker angelacht hätte? Franni ist doppelt so alt wie ich.“
Ich hob beschwichtigend meine freie Hand, merkte jedoch sofort, dass das keine so gute Idee war. Ich hielt mich lieber noch einen Moment am Geländer fest.
„Er sitzt am selben Tisch wie ich. Wir haben uns unterhalten. Er ist Privatdetektiv. Sehr interessant. Er hat mal irgendwen für Tante Henrietta aufgespürt. So genau wollte er mir das nicht sagen. Ich glaube, er hat nicht gemerkt, dass mir das aufgefallen ist, aber er weicht all meinen Fragen einfach aus.“
„Soso. Ein Detektiv. Das gefällt dir, oder?“
Annabelle lächelte.
„Das ist jedenfalls spannender, als mit einem Tankwart zu tanzen.“
Sie knuffte mich in die Seite.
„Sag nichts gegen meine Zunft. Wir Tankwarte sind helle Köpfchen. Vor allem, wenn wir Feuer und Flamme sind.“
Eine Grillenfamilie im Ginsterstrauch neben uns lachte über meinen blöden Witz.
Wir sahen schweigend in die Dunkelheit.
„Was ist eigentlich mit Gloria los?“, fragte Annabelle plötzlich unvermittelt.
„Was soll schon mit ihr los sein?“, fragte ich.
„Du weichst mir aus. Und du bist darin noch schlechter als Franni. Also, was ist mir ihr los?“
„Ich weiß es auch nicht.“
„Ich glaube, sie heckt was mit Tom aus“, sagte Annabelle.
„Wer weiß. Vielleicht haben die beiden noch eine Überraschung für Tante Henrietta vorbereitet, von der wir alle nichts wissen sollen.“
„Du bist ja leichtgläubig.“
„Ich bezeichne mich gerne als naiv aber glücklich.“
Die Tür ging auf und wir drehten uns um.
„Wenn man vom Teufel spricht“, sagte Annabelle.
Tom und Magnus traten heraus. Sie gesellten sich zu uns und Magnus zückte eine Schachtel Zigaretten. Endlich.
„Nein danke“, sagte Annabelle. „Mir ist sowieso kalt geworden. Ich geh wieder rein.“
Ich wollte ihr nach drinnen folgen, doch Tom hielt mich zurück.
„Warte noch einen Moment, Oskar. Magnus will dir was zeigen“, sagte er.
Also wartete ich.

© 2024 David schreibt

Theme von Anders NorénHoch ↑