Der gute Lutz war so freundlich und hat mir eine Geschichte geschenkt. Hier ist sie.

Körzdörfers Leben kratzte ihn. Und wer ist schon ganz zufrieden, wenn ihn andauernd etwas kratzt? Richtig: Niemand. Aber Körzdörfer war jetzt auch nicht der Mensch, der es sich zur Aufgabe machte, sein Leben irgendwie annehmlicher zu gestalten. Körzdörfer war Naturwissenschaftler durch und durch. Der Versuchsaufbau durfte nicht aufgrund subjektiver Befindlichkeiten verändert werden. Vielleicht war Thales allem Runden abgeneigt gewesen. Was wäre gewesen, hätte er nie seinen berühmten Satz gesagt? Richtig: Die Geometrie steckte immer noch in den Kinderschuhen. Nein, es führte zu nichts, sich von seinen Gefühlsduseleien leiten zu lassen.

Einmal hatte Körzdörfer es dennoch versucht und ein paar Verse geschrieben. Schmierige Verse, von Pathos triefend. Sie hatten von Liebe, dem Mond und der Eulerschen Zahl gehandelt. Körzdörfer war stolz auf sie gewesen und zum ersten Mal hatte er das Kratzen fast nicht mehr gespürt. Er hatte sie einem Freund gezeigt, der sie lobte. Er hatte sie Kollegen vorgelesen, die ihn bewunderten. Schließlich gab er sie seinem Vater. Dieser lächelte und sprach vom Wetter. Es war sicher kein ungerührtes vom Wetter Sprechen, aber es war eben auch nicht mehr.

An diesem Abend konnte Körzdörfer wieder nicht einschlafen, so sehr kratzte es ihn. Und das Kratzen war längst nicht mehr nur äußerlich, nein, sein Hals kratzte auch.

Körzdörfer unternahm einen letzten verzweifelten Versuch mit dem Kratzen klarzukommen. Er untersuchte es wissenschaftlich. Er erhob weltweit Daten, sammelte sie und wertete sie aus. Er erforschte das Kratzen von innen. Zerlegte es in all seine Bestandteile. Bald schon stieß Körzdörfer auf scheinbar unüberwindliche Grenzen des wissenschaftlich Aussagbaren. Aber er ließ sich nicht aufhalten, sondern erweiterte unaufhörlich das ihn umgebende Team. Sie waren multiprofessionell, überkonfessionell und manche von ihnen drogenabhängig oder schizophren. Aber all das tat der wissenschaftlichen Erforschung des Kratzens keinen Abbruch, sondern ganz im Gegenteil: Körzdörfer und sein Team eilten von Erkenntnisgewinn zu Erkenntnisgewinn. Und längst waren die Forschungsergebnisse nicht mehr auf das schmale Gebiet des Kratzens beschränkt. Die Atomphysik, die naturwissenschaftliche Erforschung des Stolperns und der Kreisligafußball im Schweizer Kanton Appenzell-Innerrhoden profitierten ungemein von allem, was Körzdörfer und sein Team an Erkenntnissen zutage förderten.

Körzdörfer starb in hohem Alter zufrieden, glücklich und ausgesöhnt mit seinem Kratzen. Er hatte sein Leben der Wissenschaft gegeben, vielen Menschen geholfen und niemandem geschadet. Ihm verdanken wir die beiden Sätze übers Kratzen, die auch nach heutigem Wissensstand noch nichts an Aktualität eingebüßt haben. So bleibt mir, als einem der dem zweiten Satz übers Kratzen vielleicht nicht weniger als sein Leben verdankt, in aller Schlichtheit nur eines zu sagen: Danke, Körzdörfer!