Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…
Sophia nahm neben mir Platz. Sie wirkte jetzt etwas gefasster. Gloria begrüßte sie nur kurz, drehte sich dann wieder um.
„Hältst du immer noch Ausschau nach Tom?“, fragte ich.
Gloria gab keine Antwort. Also widmete ich mich Sophia.
„Schick siehst du aus in deinem Kleid.“
Ich war schon immer der König des Smalltalks.
„Danke. Das ist ein fair gehandeltes Biokleid aus Afrika.“
Soso. Ich warf einen Blick auf mein Weinglas, in dem schon wieder Ebbe herrschte und überlegte gerade, ob ich mir Nachschub holen sollte, als Henrietta mit ihrer Mitbewohnerin Juliette hereinkam.
„Jetzt geht es bestimmt gleich los“, sagte ich wie ein Kind, das sich tierisch auf den Beginn einer Geburtstagsfeier freut.
Henrietta war für ihr Alter noch sehr robust. Sie ging nur leicht auf einen Stock gestützt. Wenn ich in ihrem Alter noch so selbstständig wäre, ich würde Purzelbäume schlagen – und mir dabei vermutlich das Genick brechen.
Gloria drehte sich jetzt auch wieder zu uns um.
„Henrietta sieht richtig gut aus.“
Meine Tante hatte ihren Tisch erreicht. Dort saßen außer ihr nur ihr Sohn Tom, die reizende Juliette und der Herr in dem altmodischen Anzug. Sie blieb direkt stehen, nahm einen Löffel und schlug damit gegen ihr Glas. Das wäre nicht nötig gewesen, da sie ohnehin unser aller Aufmerksamkeit hatte.
„Liebe Verwandte, Freunde und Bekannte, ich grüße euch alle ganz herzlich und freue mich sehr darüber, dass ihr alle gemeinsam mit mir meinen Geburtstag feiern wollt.“
Ihre Stimme war etwas dünn. Dennoch war jedes Wort zu verstehen.
„Ich habe euch nicht nur eingeladen, um mit mir hier in diesem wunderschönen Schloss zu feiern. Wir werden heute Abend noch ausreichend Gelegenheit dazu haben, bei Musik und Wein fröhlich zu sein. Ich möchte euch auch etwas wirklich Wichtiges mitteilen.“
Gloria wirkte plötzlich nervös. Sie nahm ein Stück Brot aus dem Korb und zerbröselte es auf ihrem Teller. Auch Sophia wirkte jetzt angespannter. Diese Anspannung übertrug sich auf mich und ich spürte, wie ich den Atem anhielt. Laut hörbar atmete ich aus.
„Doch jetzt lasst uns zuerst essen und trinken und gute Gespräche führen.“
Henrietta hob ihr Glas und wir stießen mit ihr an. Dann setzte sie sich und im gleichen Augenblick setzte wieder allgemeines Gemurmel ein.
„Was glaubst du, was sie uns sagen will?“, fragte Gloria.
„Vielleicht, dass sie uns alle enterbt“, witzelte ich.
„Darüber macht man keine Scherze“, sagte Sophia. Ihre Stimme zitterte.
„Will sonst noch jemand einen Wein haben?“, fragte ich.
„Nein, danke“, sagten Gloria und Sophia im Chor.
„Nun, ich genehmige mir noch ein Gläschen.“
Ich stand auf und ging zur Bar. Magnus hatte mich wohl schon kommen gesehen, denn es stand bereits ein Glas Rotwein auf der Theke. Stumm schob er mir das Glas zu und ich schob ihm einen weiteren Geldschein zu. Dann ging ich zurück zum Tisch. Mein Kopf dröhnte etwas. Vielleicht hatte ich doch schon zu viel getrunken.
Gerade als ich mich wieder gesetzt hatte, kam der Koch zur Tür herein und bat um Aufmerksamkeit.
„Verehrte Jubilarin, geehrte Gäste, meine Helfer tragen nun das Buffett auf. Es gibt heute diverse Delikatessen. Besonders stolz bin ich auf das von mir persönlich zubereitete Wild. Ich wünsche Ihnen allen guten Appetit.“
Die Tür ging auf und drei junge Frauen kamen mit Tabletts und trugen sie zu einer langen Tafel.
„Das ist mal wieder typisch“, sagte Sophia laut.
„Was denn?“, fragte ich.
„Na, er spricht von ‚Helfern‘, hat aber nur ‚Helferinnen‘. Das geht mir so auf die Nerven.“
„Übertreibst du nicht ein bisschen?“
„Überhaupt nicht. Das passiert nämlich ständig. Immer und überall.“
„Hauptsache, es schmeckt“, sagte ich und schämte mich sogleich für diesen dummen Witz.
„Ich gehe mal schnell auf Toilette“, verkündete Gloria und stand auf.
Nachdem sie den Saal verlassen hatte, ließ ich meinen Blick schweifen. Keine Spur von Tom. Zufälle gibt’s.
„Was ist eigentlich mit dir los?“, fragte ich Sophia. Es war an der Zeit, in die Offensive zu gehen.
„Da ist nichts.“
„Das kannst du vielleicht Gloria weißmachen, die heute sowieso etwas neben der Spur ist, aber doch nicht mir. Ich bin dein Cousin. Ich kenne dich, seit gefühlt hundert Jahren.“
„Es ist nichts“, sagte Sophia und stand auf. Einfach so. Sie ging schnurgerade zur Tür hinaus.
Ich warf einen Blick auf mein Weinglas und einen zweiten auf das wundervolle Wild. Dann stand ich ebenfalls auf und folgte Sophia nach draußen. Ich fand sie auf dem Parkplatz, wo sie auf und ab tigerte. Ich gesellte mich zu ihr. Als sie mich bemerkte, blieb sie stehen und sah mich an. Sie zitterte.
„Was ist wirklich los?“, frage ich und wollte sie sanft an der Hand fassen. Doch da fiel sie mir schon um den Hals und begann bitterlich zu weinen.
„Ich bin pleite. Vollkommen bankrott. Ich habe schon seit einem halben Jahr kein Geld mehr. Und die Bank hat mir den Hahn zugedreht. Und meine Investoren wollen endlich Ergebnisse sehen, aber das Computerspiel braucht mindestens noch ein halbes Jahr, ehe es marktreif ist. Und ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll. Seit Wochen ernähre ich mich von Toastbrot und Äpfeln und Wasser und sonst nichts. Ich … Ich kann nicht mehr.“
Ich hatte nur die Hälfte aufschnappen können, doch irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass es Sophia echt schlecht ging.
„Warum hast du denn nicht schon früher mal was gesagt“, fragte ich.
Als Antwort bekam ich nur ein Schluchzen. Sie weinte jetzt hemmungslos und ich fürchtete um mein Hemd. Vielleicht hatte Gloria für genau solche Fälle ein zweites Hemd eingepackt.
„Ich schäme mich so sehr.“
„Das musst du nicht. Sowas kann jedem mal passieren.“
Sophia schniefte nur.
„Ich habe schon überlegt, ob ich nicht ein Angebot aus der Automobilbranche annehmen soll. Ich und für die Autoindustrie arbeiten. Kannst du dir das vorstellen?“
Ich schüttelte nur den Kopf.
„Aber wenn man seit einem halben Jahr auf dem Trockenen sitzt, kommt man schon einmal in die Verlegenheit, gegen seine Prinzipien zu verstoßen.“
„Wem sagst du das“, sagte ich, ohne zu wissen, was ich damit meinte.
„Wie wäre es, wenn du Tante Henrietta um einen kleinen Kredit bittest?“, schlug ich vor.
„Das habe ich vor. Doch dann hat sie diese Andeutungen gemacht, dass sie uns noch irgendwas verkünden will. Ich sehe es schon kommen, dass sie all ihr Geld in einen Kinderhilfe-Fond steckt. Und ich schäme mich dafür, dass ich so denke. Die Kinder brauchen doch das Geld.“
Wieder weinte sie. Ich klopfte ihr sachte auf die Schulter.
„Glaubst du nicht, dass Tante Henrietta genug Geld hat, sowohl den Kindern dieser Welt als auch dir zu helfen? Und wenn sie kein Geld hat, arbeitest du halt für mich. Du wirst sehen, dass die Kundenbedienung Spaß machen kann.“
„Oskar du liebenswürdiger Trottel. Du arbeitest nicht auch zufällig in der Autoindustrie?“
„Nun …“
„Und außerdem schulde ich meinen Investoren das Spiel. Sie haben schließlich eine halbe Million investiert.“
„Soviel? Und das alles für ein Spiel?“
„Du hast keine Ahnung“, sagte sie nur.
„Das stimmt. Aber ich habe Hunger. Und deshalb gehen wir jetzt rein und essen was. Ich rieche Fleisch!“
„Widerlich!“, sagte Sophia und lachte.
Wir gingen zurück in den Saal und schaufelten unsre Teller randvoll. Dann setzten wir uns an unseren Tisch. Gloria war immer noch nicht wieder da.
„Wo die wohl bleibt?“, fragte Sophia.
„Da kommt sie schon.“
Gloria kam zur Tür rein und stellte sich direkt ans Buffet.
Ich wollte mich gerade über mein Wildgulasch hermachen, als Henrietta ein zweites Mal aufstand und an den Rand ihres Weinglases hämmerte.
Alle Augen richteten sich auf den Tisch, der ganz vorne stand.
„Liebe Verwandte, Freunde, Bekannte, ich möchte euch allen heute noch etwas Besonderes mitteilen. Es gibt nämlich noch mehr zu feiern als nur meinen Geburtstag, aber dazu komme ich gleich. Viele von euch wissen, dass ich der Meinung bin, es bringe nichts mehr, in meinem Alter noch Besitztümer anzuhäufen. Ich danke all jenen, die meinem Wunsch nachgekommen sind und etwas für die Kinderhilfe gespendet haben. Doch ich kann nicht von euch allen verlangen, etwas für die gute Sache zu geben und dabei selbst auf einem riesigen Haufen Geld sitzen bleiben. Deshalb habe ich beschlossen, drei Viertel meines Vermögens an die Kindernothilfe zu spenden. Somit ist den Ärmsten geholfen und es bleibt gleichzeitig noch genug Geld übrig, dass ich meiner Familie vermachen kann.“
Wie zu erwarten war, entstand ein allgemeines Gemurmel. Ich sah Gloria an und dann Sophia. Tom, der ganz vorne am Tisch saß – nur zwei Plätze von Henrietta entfernt – begann schallend zu lachen. Henrietta warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Damit das alles mit rechten Dingen zugeht, habe ich als Erbverwalterin meine Frau Juliette eingesetzt.“
Man hätte ein Atom fallen hören können.
„Ganz recht, ich habe meine langjährige Mitbewohnerin geheiratet. Das bedeutet nicht, dass ich – wie man so schön sagt – auf einmal vom anderen Ufer wäre. Ich habe meinen Mann geliebt und liebe ihn immer noch. Es ist vielmehr eine ‚Zweckehe‘, in der jede der anderen ihr Vermögen angetraut hat.“
Da ich nicht wusste, was ich machen sollte, begann ich zu applaudieren. Die anderen stimmten der Reihe nach mit ein. Henrietta bedankte sich und setzte sich wieder. Sie strahlte über das ganze Gesicht.
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