Hier ist es nun: Das letzte Kapitel meiner kleinen Kriminalgeschichte. Viel Spaß damit.

Die Polizisten fanden meine sterblichen Überreste etwa zehn Minuten, nachdem mir Magnus mit Unterstützung der Schwerkraft den Garaus gemacht hatte. Für Kommissar Strobel stand sofort fest, dass ich mir mit meinem Selbstmord endlich meine Schuld eingestanden hatte, und dem Staat im Übrigen eine Menge Kosten für Gerichtsverhandlungen und den anschließenden Gefängnisaufenthalt erspart hatte.
Gott sei Dank gab es aber noch Francis Rickenbacker, der sich als ziemlich kluger Kopf entpuppte. Annabelles Tanzpartner war nämlich nicht nur irgendein Detektiv, sondern vermutlich der gefragteste in Berlin und London. Herr Rickenbacker hatte nämlich gleich in zwei Metropolen eine Wohnung und ein Büro.
Hauptkommissar Strobel hatte schon verkündet, dass man wohl die Ermittlungen beenden könnte, als Rickenbacker dazwischen grätschte.
„Nicht so schnell, Herr Kommissar“, sagte Rickenbacker, der im Bademantel nach draußen geeilt war. Er musste wohl noch geschlafen haben, bis ihn das ganze Geschnatter der Polizei geweckt hatte.
„Was wollen Sie denn? Und wer sind Sie?“, fragte Hauptkommissar Volltrottel.
„Mein Name ist Rickenbacker. Francis Rickenbacker. Ich bin Privatdetektiv und habe in dieser Funktion an der gestrigen Feier teilgenommen. Und leider habe ich es versäumt, zwei Morde zu verhindern. Die gehen wohl beide auf meine Kappe.“
„Zwei Morde?“, fragte der Kommissar. „Ich sehe vielmehr einen Mord und einen Suizid.“
„Mit Verlaub, Sie würden den Mörder wohl nicht einmal erkennen, wenn er mit einer Leuchtreklame vor Ihnen stünde.“
„Werden Sie mal nicht frech.“
„Weißt du denn, wer die beiden ermordet hat?“, fragte Henrietta, die nun ebenfalls nach draußen gekommen war. Es freute mich sehr, dass Sie über mein Ableben sehr entsetzt war – auch wenn ich mir davon jetzt nichts mehr kaufen konnte.
„Ja, Franzis, weißt du, wer es war?“, fragte Annabelle, die den Detektiv wie bereits gestern anhimmelte.
„Ich weiß wer es getan hat, warum und vor allem weiß ich, wie er es getan hat.“
„Sie geben vor, eine ganze Menge zu wissen. Wollen Sie uns vielleicht an Ihrem Wissen teilhaben lassen?“
„Gerne.“
Rickenbacker sah in die Runde. Soweit ich das von hier überblicken kann, war wirklich fast jeder nach draußen gekommen. Rickenbacker schien das zu gefallen. Er brauchte eine Bühne für seine Kunst. Die Kunst der Täterüberführung.
Annabelle strahlte ihn an.
„Wer war es, Franni?“
„Nicht so schnell, Liebes. Zunächst einmal möchte ich das Warum besprechen.“
Rickenbacker zog ein Foto aus der Tasche seines Bademantels. Es war eine Aufnahme dreier Soldaten. Tom, Magnus und Luca lächelten in die Kamera.
„Was meine Kollegin Gloria – die ihre Tätigkeit als Privatdetektivin gerne tarnt und immer vorgibt, sie handele mit allerlei Krimskrams im Internet – was Gloria also herausgefunden hat, ist folgendes: Drei Männer lernten sich in Afghanistan während eines Einsatzes kennen. Nur zwei dieser drei Männer kamen nachhause. Einer wurde durch eine Granate getötet. Was jedoch niemand wusste, war, dass nicht die Person getötet worden war, deren Name auf dem Totenschein stand. Es hatte nämlich nicht Luca Altmeier erwischt, sondern den Sohn der reichen Dame: Tom Wolter. Wie Sie aber sehr wohl sehen können, sahen sich Tom und Luca recht ähnlich. Sie hätten Brüder, wenn nicht sogar Zwillinge sein können. Tom hatte jedoch ein auffälliges Detail, das er einem ersten Auslandseinsatz zu verdanken hatte: Eine Narbe über dem rechten Auge. Nichts, was man nicht mit einem heißen Messer hinbekommen würde. Aus Luca wurde – auch dank der Computerkenntnisse des gemeinsamen Freundes Magnus – Tom, der Sohn der reichen alten Dame, der früher oder später den Großteil des Vermögens erben würde.“
Rickenbacker unterbrach seine Erklärung für einen Moment. Er blickte herüber zu Tom – der eigentlich Luca hieß – und Magnus. Zwei der Polizisten hatten sich jetzt neben die beiden gestellt. Luca wirkte betont gelassen, während sich auf Magnus Stirn erste Schweißperlen bildeten.
„Gloria hatte das alles herausgefunden. Henrietta hatte sie damit beauftragt. Doch Gloria dachte nicht daran, der alten Dame Bericht zu erstatten. Sie wollte den falschen Tom erpressen. Sie wollte etwas abhaben von dem Kuchen.“
Ich glaubte, mich verhört zu haben. Dieser Schnüffler stellte meine Gloria in ein ganz schlechtes Licht. Aber andererseits hatte sie am gestrigen Abend verdammt nervös gewirkt – wie jemand, der sich auf ein gefährliches Spiel einlässt.
„Luca konnte das Ganze nicht akzeptieren. Schließlich musste er schon mit Magnus teilen. Also ersann er einen Plan, wie er Gloria loswerden konnte, ohne als Mörder entlarvt zu werden.“
„Und Sie haben es durchschaut?“, fragte Strobel.
„Sehr wohl. Es war eigentlich ganz einfach. Als Täter wurde Glorias Mann, der etwas einfältige Oskar, gewählt.“
Einfältig! So eine Frechheit. Ich beschloss, Rickenbacker – sobald ich herausgefunden hatte, wie man spukt – heimzusuchen.
„Das Problem war nur, wie man die offensichtlichen Schmauchspuren auf seine Hand und seine Fingerabdrücke auf die Waffe und die Patronen bekommen würde. Hierfür gingen Magnus und der falsche Tom mit Oskar zum Schießen in den Wald. Magnus trank ein Bier und warf die Dose laut scheppernd auf den Boden. Ich bin den dreien gestern Abend gefolgt. Es war ein herrliches Theater. Die beiden Exsoldaten sorgten dafür, dass Oskar seine Waffe selbst lud und einen Schuss abfeuerte. Danach schoss Luca noch auf die Tontöpfe.“
„Die Töpfe waren unversehrt“, sagte der Kommissar.
„Sie haben es immer noch nicht kapiert, oder?“
„Was habe ich noch nicht verstanden?“
„Die drei – oder viel mehr die zwei, denn Oskar hatte keinerlei Orientierung – führten Sie heute Morgen zu einer völlig anderen Stelle. Dort fanden Sie vermutlich eine Bierdose und vier unversehrte Blumentöpfe vor. Alles wurde von den beiden so arrangiert, dass sich die beiden Orte ähnelten wie ein Ei dem anderen. Bis auf die Einschusslöcher in den Bäumen und die Patronenhülsen am Boden.“
Ich Idiot. Ich hätte aber auch von selbst darauf kommen können.
„Jedenfalls gingen die drei nach ihrem nächtlichen Spaziergang zurück zum Schloss, wo Oskar zunächst mit Sophia sprach.“
„Das stimmt, er hat mit mir gesprochen“, sagte Sophia.
„Die beiden anderen – vermutlich Luca – verabredeten sich mit Gloria im Durchgang. Sie erschossen sie an Ort und Stelle und warteten auf Oskar, um ihn niederzuschlagen und ihm die Waffe in die Hand zu drücken. Als Oskar schließlich eintraf, schloss er hinter sich ab und fiel, noch bevor er den Schlüssel abziehen konnte, in Ohnmacht. Ein wahres Geschenk für unsere Mörder. Sie legten die Waffe neben Oskar auf den Boden und machten sich durch die zweite Tür auf und davon. Jetzt befand sich Oskar in einem geschlossenen Raum mit der Tatwaffe und dem Mordopfer. Nur er konnte es gewesen sein. Perfekt. Luca und Magnus mussten jetzt nur noch einen kleinen Umweg in Kauf nehmen. Einmal rund um das Gebäude rennen, ab ins Zimmer und eine heiße Dusche nehmen. Das muss so gegen drei Uhr gewesen sein. Und der Rest ist Geschichte, wie man so sagt.“
„Das ist doch alles gelogen!“, rief Luca.
„Ich wars nicht, er war es!“, platzte es aus Magnus heraus.
„Du verdammter Verräter!“, schrie Luca.
„Das reicht jetzt!“, sagte Kommissar Strobel. „Wir werden das überprüfen. Bitte führen Sie die beiden ab.“
„Sie hören von meinem Anwalt!“, rief Luca.
„Gerne doch“, sagte Rickenbacker.
Dann drehte er sich um und sah Tante Henrietta an.
„Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Ihr Verdacht, Tom sei nicht Tom, hat sich leider bestätigt. Leider habe ich unterschätzt, dass der falsche Tom bis zum Äußersten gehen würde. Ansonsten hätten Gloria und Oskar nicht sterben müssen.“
„Ich danke Ihnen dennoch. Wer weiß, was Tom sonst noch angerichtet hätte. Vermutlich hätte er irgendwann auch nicht mehr davor zurückgeschreckt, mich und die liebe Juliette zu ermorden. Ich werde ihn noch heute aus meinem Testament streichen. Seinen Anteil erhält meine Nichte Sophia.“
„Die kann es vermutlich auch gebrauchen“, sagte Annabelle. „Komm Franni, wir gehen rein und frühstücken.“
„Ich schwöre dir: Wenn du mich noch einmal Franni nennst, wars das mit uns.“
Annabelle lachte.
„Geht klar, Franni.“