Have a break, write a book

Schlagwort: Rickenbacker

Der Tag, an dem Oskar seine Frau erschoss – Kapitel 10 – Francis

Hier ist es nun: Das letzte Kapitel meiner kleinen Kriminalgeschichte. Viel Spaß damit.

Die Polizisten fanden meine sterblichen Überreste etwa zehn Minuten, nachdem mir Magnus mit Unterstützung der Schwerkraft den Garaus gemacht hatte. Für Kommissar Strobel stand sofort fest, dass ich mir mit meinem Selbstmord endlich meine Schuld eingestanden hatte, und dem Staat im Übrigen eine Menge Kosten für Gerichtsverhandlungen und den anschließenden Gefängnisaufenthalt erspart hatte.
Gott sei Dank gab es aber noch Francis Rickenbacker, der sich als ziemlich kluger Kopf entpuppte. Annabelles Tanzpartner war nämlich nicht nur irgendein Detektiv, sondern vermutlich der gefragteste in Berlin und London. Herr Rickenbacker hatte nämlich gleich in zwei Metropolen eine Wohnung und ein Büro.
Hauptkommissar Strobel hatte schon verkündet, dass man wohl die Ermittlungen beenden könnte, als Rickenbacker dazwischen grätschte.
„Nicht so schnell, Herr Kommissar“, sagte Rickenbacker, der im Bademantel nach draußen geeilt war. Er musste wohl noch geschlafen haben, bis ihn das ganze Geschnatter der Polizei geweckt hatte.
„Was wollen Sie denn? Und wer sind Sie?“, fragte Hauptkommissar Volltrottel.
„Mein Name ist Rickenbacker. Francis Rickenbacker. Ich bin Privatdetektiv und habe in dieser Funktion an der gestrigen Feier teilgenommen. Und leider habe ich es versäumt, zwei Morde zu verhindern. Die gehen wohl beide auf meine Kappe.“
„Zwei Morde?“, fragte der Kommissar. „Ich sehe vielmehr einen Mord und einen Suizid.“
„Mit Verlaub, Sie würden den Mörder wohl nicht einmal erkennen, wenn er mit einer Leuchtreklame vor Ihnen stünde.“
„Werden Sie mal nicht frech.“
„Weißt du denn, wer die beiden ermordet hat?“, fragte Henrietta, die nun ebenfalls nach draußen gekommen war. Es freute mich sehr, dass Sie über mein Ableben sehr entsetzt war – auch wenn ich mir davon jetzt nichts mehr kaufen konnte.
„Ja, Franzis, weißt du, wer es war?“, fragte Annabelle, die den Detektiv wie bereits gestern anhimmelte.
„Ich weiß wer es getan hat, warum und vor allem weiß ich, wie er es getan hat.“
„Sie geben vor, eine ganze Menge zu wissen. Wollen Sie uns vielleicht an Ihrem Wissen teilhaben lassen?“
„Gerne.“
Rickenbacker sah in die Runde. Soweit ich das von hier überblicken kann, war wirklich fast jeder nach draußen gekommen. Rickenbacker schien das zu gefallen. Er brauchte eine Bühne für seine Kunst. Die Kunst der Täterüberführung.
Annabelle strahlte ihn an.
„Wer war es, Franni?“
„Nicht so schnell, Liebes. Zunächst einmal möchte ich das Warum besprechen.“
Rickenbacker zog ein Foto aus der Tasche seines Bademantels. Es war eine Aufnahme dreier Soldaten. Tom, Magnus und Luca lächelten in die Kamera.
„Was meine Kollegin Gloria – die ihre Tätigkeit als Privatdetektivin gerne tarnt und immer vorgibt, sie handele mit allerlei Krimskrams im Internet – was Gloria also herausgefunden hat, ist folgendes: Drei Männer lernten sich in Afghanistan während eines Einsatzes kennen. Nur zwei dieser drei Männer kamen nachhause. Einer wurde durch eine Granate getötet. Was jedoch niemand wusste, war, dass nicht die Person getötet worden war, deren Name auf dem Totenschein stand. Es hatte nämlich nicht Luca Altmeier erwischt, sondern den Sohn der reichen Dame: Tom Wolter. Wie Sie aber sehr wohl sehen können, sahen sich Tom und Luca recht ähnlich. Sie hätten Brüder, wenn nicht sogar Zwillinge sein können. Tom hatte jedoch ein auffälliges Detail, das er einem ersten Auslandseinsatz zu verdanken hatte: Eine Narbe über dem rechten Auge. Nichts, was man nicht mit einem heißen Messer hinbekommen würde. Aus Luca wurde – auch dank der Computerkenntnisse des gemeinsamen Freundes Magnus – Tom, der Sohn der reichen alten Dame, der früher oder später den Großteil des Vermögens erben würde.“
Rickenbacker unterbrach seine Erklärung für einen Moment. Er blickte herüber zu Tom – der eigentlich Luca hieß – und Magnus. Zwei der Polizisten hatten sich jetzt neben die beiden gestellt. Luca wirkte betont gelassen, während sich auf Magnus Stirn erste Schweißperlen bildeten.
„Gloria hatte das alles herausgefunden. Henrietta hatte sie damit beauftragt. Doch Gloria dachte nicht daran, der alten Dame Bericht zu erstatten. Sie wollte den falschen Tom erpressen. Sie wollte etwas abhaben von dem Kuchen.“
Ich glaubte, mich verhört zu haben. Dieser Schnüffler stellte meine Gloria in ein ganz schlechtes Licht. Aber andererseits hatte sie am gestrigen Abend verdammt nervös gewirkt – wie jemand, der sich auf ein gefährliches Spiel einlässt.
„Luca konnte das Ganze nicht akzeptieren. Schließlich musste er schon mit Magnus teilen. Also ersann er einen Plan, wie er Gloria loswerden konnte, ohne als Mörder entlarvt zu werden.“
„Und Sie haben es durchschaut?“, fragte Strobel.
„Sehr wohl. Es war eigentlich ganz einfach. Als Täter wurde Glorias Mann, der etwas einfältige Oskar, gewählt.“
Einfältig! So eine Frechheit. Ich beschloss, Rickenbacker – sobald ich herausgefunden hatte, wie man spukt – heimzusuchen.
„Das Problem war nur, wie man die offensichtlichen Schmauchspuren auf seine Hand und seine Fingerabdrücke auf die Waffe und die Patronen bekommen würde. Hierfür gingen Magnus und der falsche Tom mit Oskar zum Schießen in den Wald. Magnus trank ein Bier und warf die Dose laut scheppernd auf den Boden. Ich bin den dreien gestern Abend gefolgt. Es war ein herrliches Theater. Die beiden Exsoldaten sorgten dafür, dass Oskar seine Waffe selbst lud und einen Schuss abfeuerte. Danach schoss Luca noch auf die Tontöpfe.“
„Die Töpfe waren unversehrt“, sagte der Kommissar.
„Sie haben es immer noch nicht kapiert, oder?“
„Was habe ich noch nicht verstanden?“
„Die drei – oder viel mehr die zwei, denn Oskar hatte keinerlei Orientierung – führten Sie heute Morgen zu einer völlig anderen Stelle. Dort fanden Sie vermutlich eine Bierdose und vier unversehrte Blumentöpfe vor. Alles wurde von den beiden so arrangiert, dass sich die beiden Orte ähnelten wie ein Ei dem anderen. Bis auf die Einschusslöcher in den Bäumen und die Patronenhülsen am Boden.“
Ich Idiot. Ich hätte aber auch von selbst darauf kommen können.
„Jedenfalls gingen die drei nach ihrem nächtlichen Spaziergang zurück zum Schloss, wo Oskar zunächst mit Sophia sprach.“
„Das stimmt, er hat mit mir gesprochen“, sagte Sophia.
„Die beiden anderen – vermutlich Luca – verabredeten sich mit Gloria im Durchgang. Sie erschossen sie an Ort und Stelle und warteten auf Oskar, um ihn niederzuschlagen und ihm die Waffe in die Hand zu drücken. Als Oskar schließlich eintraf, schloss er hinter sich ab und fiel, noch bevor er den Schlüssel abziehen konnte, in Ohnmacht. Ein wahres Geschenk für unsere Mörder. Sie legten die Waffe neben Oskar auf den Boden und machten sich durch die zweite Tür auf und davon. Jetzt befand sich Oskar in einem geschlossenen Raum mit der Tatwaffe und dem Mordopfer. Nur er konnte es gewesen sein. Perfekt. Luca und Magnus mussten jetzt nur noch einen kleinen Umweg in Kauf nehmen. Einmal rund um das Gebäude rennen, ab ins Zimmer und eine heiße Dusche nehmen. Das muss so gegen drei Uhr gewesen sein. Und der Rest ist Geschichte, wie man so sagt.“
„Das ist doch alles gelogen!“, rief Luca.
„Ich wars nicht, er war es!“, platzte es aus Magnus heraus.
„Du verdammter Verräter!“, schrie Luca.
„Das reicht jetzt!“, sagte Kommissar Strobel. „Wir werden das überprüfen. Bitte führen Sie die beiden ab.“
„Sie hören von meinem Anwalt!“, rief Luca.
„Gerne doch“, sagte Rickenbacker.
Dann drehte er sich um und sah Tante Henrietta an.
„Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Ihr Verdacht, Tom sei nicht Tom, hat sich leider bestätigt. Leider habe ich unterschätzt, dass der falsche Tom bis zum Äußersten gehen würde. Ansonsten hätten Gloria und Oskar nicht sterben müssen.“
„Ich danke Ihnen dennoch. Wer weiß, was Tom sonst noch angerichtet hätte. Vermutlich hätte er irgendwann auch nicht mehr davor zurückgeschreckt, mich und die liebe Juliette zu ermorden. Ich werde ihn noch heute aus meinem Testament streichen. Seinen Anteil erhält meine Nichte Sophia.“
„Die kann es vermutlich auch gebrauchen“, sagte Annabelle. „Komm Franni, wir gehen rein und frühstücken.“
„Ich schwöre dir: Wenn du mich noch einmal Franni nennst, wars das mit uns.“
Annabelle lachte.
„Geht klar, Franni.“

Der Tag, an dem Oskar seine Frau erschoss – Kapitel 9 – Magnus

Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Wir machten uns auf den Weg. Jetzt bei Licht betrachtet kam mir der Weg ganz anders vor als noch letzte Nacht. War das Gras wirklich so hoch gewesen? Ich kam zu dem Schluss, dass ich in der Nacht wirklich etwas zu viel getrunken hatte. Wir erreichten die Stelle von letzter Nacht. Auf dem Boden lag noch Magnus’ Bierdose.
„Hier wollten wir schießen“, sagte Magnus.
„Ich hatte schon die Blumentöpfe aufgestellt – dort hinten können Sie sie sehen – als Magnus einfiel, dass er die Munition im Auto hatte liegen lassen.“
„Ich wahre die Munition immer getrennt von den Waffen auf.“
„Sehr vorbildlich“, sagte der Kommissar.
Ich hörte verwirrt zu. Aber wir hatten doch gestern Abend geschossen. Ich hatte ein paar Mal geschossen und Tom hatte die vier Blumentöpfe der Reihe nach umgeballert. Doch jetzt standen sie wieder da. Aufgereiht wie Zinnsoldaten.
„Tom“, sagte ich, „wir haben doch gestern geschossen. Also du und ich.“
Tom schüttelte den Kopf.
„Erinnerst du dich nicht mehr? Du hast abgedrückt, aber kein Schuss fiel. Dann erst bemerkte Magnus, dass er die Patronen im Auto vergessen hatte. Wir haben uns halbtot gelacht und sind zurückgelaufen. Ich war nur zu faul, die Blumentöpfe wieder zu holen.“
„Hier wurde also nicht geschossen“, sagte der Kommissar. „Wir werden den Boden und den Wald aber natürlich dennoch nach Schussspuren untersuchen.“
Jetzt wandte er sich an mich.
„Es wäre also ganz interessant, Herr Wolter, wenn Sie erklären könnten, wie die Schmauchspuren an Ihre Hand gekommen sind.“
Mir wurde heiß und kalt zugleich. Was lief hier? Hatte ich nun geschossen, oder nicht? Wir waren doch hier gewesen. Ich erinnerte mich dunkel daran, dass ich versucht hatte, zu schießen, die Waffe aber ungeladen gewesen war. Und dann hatten Tom und Magnus tatsächlich gelacht. Und was war dann passiert? Waren wir tatsächlich zum Schloss zurückgekehrt? Hatte ich am Ende doch Gloria erschossen?
„Ich erinnere mich nicht mehr so genau“, sagte ich.
„Wir kehren jetzt zum Schloss zurück. Dann händigen Sie mir beide Waffen aus. Und Sie kontaktieren am besten mal Ihren Anwalt.“
Mir wurde schwindelig. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus, hielt kurz die Luft an und zählte bis zehn. Das Schwindelgefühl verflog.
„Das wird wohl das Beste sein. Wenn ich nur wüsste, wo ich die Nummer meines Anwalts habe.“
„Die kriegen wir schon noch heraus“, sagte der Kommissar.
Schweigend gingen wir den Weg zurück. Währenddessen verfestigte sich in meinem Geist ein Bild der letzten Nacht. Ich hatte zu viel getrunken, war mit Tom und Magnus draußen am Waldrand gewesen, hatte eine der Pistolen eingesteckt und damit anschließend meine Frau erschossen. So könnte es gewesen sein. Das Problem war nur, dass es nicht so gewesen war. Was also war wirklich los?
Wir erreichten das Schloss. Magnus führte den Polizist zu seinem Wagen. Er öffnete den Kofferraum. Dort standen die zwei Kisten. Eine war aufgebrochen. Die Waffe fehlte.
„Die Munition verwahre ich unter dem Vordersitz. Moment!“
Magnus öffnete die Fahrertür und zog eine kleine Schachtel unter dem Sitz heraus. Er reichte sie dem Kommissar.
„Das Kaliber stimmt auf jeden Fall mit dem des Mordopfers überein“, sagte der Kommissar. „Wir werden feststellen, ob auch die Waffe als Mordwaffe in Frage kommt.“
Wieder wandte er sich an mich.
„Vielleicht gehen Sie mal lieber hoch in Ihr Zimmer und packen ein paar Sachen ein. Es könnte durchaus sein, dass wir uns etwas länger unterhalten müssen.“
Ich nickte wie eine Marionette. Dann ging ich hoch in unser Zimmer. Glorias Kleid hing auf einem Kleiderbügel, ihre Handtasche war nirgends zu sehen. Also hatte sie sie dabeigehabt, als sie erschossen wurde. Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich die Handtasche unten im Durchgang gesehen hatte. Ich wollte nur noch schlafen und aus diesem schrecklichen Albtraum erwachen. Vielleicht saß Gloria dann ja an ihrem Platz in unserer Küche.
Ich stopfte meine Klamotten, die ich bei meiner Ankunft getragen hatte, in den kleinen Reisekoffer. Dann setzte ich mich aufs Bett. Was für ein Schlamassel.
Ein Klopfen an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Wer mochte das sein? Der Kommissar? Oder vielleicht war es ja Juliette oder Henrietta oder Sophia. Es war Magnus.
„Was willst du?“, fragte ich ihn.
Ehe ich mich versah, packte er mich an Hosenbund und Kragen und zerrte mich durchs Zimmer. Er schleuderte mich durch das Fenster. Die alten Fensterscheiben hatten meinem Gewicht und der Wucht das Wurfes nichts entgegenzusetzen. Und so segelte ich zwei Stockwerke in die Tiefe, schlug unten auf einem harten Stein auf, der mir den Schädel zertrümmerte und purzelte dann noch kurz den Hang herunter, ehe ich leblos in einer kleinen Pfütze liegen blieb.
Ach ja, ich hatte ganz vergessen zu erwähnen, dass ich ein Geist bin. Man wird so vergesslich im Jenseits. Aber lassen Sie sich nicht davon abhalten, dass ich in der materiellen Welt nur noch Matsche und in der anderen Welt nur noch ein Hauch im Wind bin. Wer meine Frau ermordet hat, weiß ich übrigens auch noch nicht. Ich kann Ihnen nur so viel sagen, dass ich es nicht gewesen bin. Ich würde eher auf Magnus tippen. Der alte Däne hat ja Potential, wie Sie sehen. Ich entschuldige mich jedenfalls bei Ihnen dafür, dass ich Sie mit meiner Einleitung ein wenig hinters Licht geführt habe. Es kommt nicht wieder vor. Versprochen.
Aber leider obliegt die Aufklärung des Falles einem Volltrottel. Nun, zumindest dachte ich das, bis der Mann auf den Plan trat, der uns vielleicht alle hätte retten können, wenn er nicht selbst ein wenig abgelenkt gewesen wäre. Aber ich möchte ihm keine Vorwürfe machen. Hier im Jenseits ist man sehr nachsichtig mit den Lebenden.
Also: Auftritt Francis Rickenbacker!

Der Tag, an dem Oskar seine Frau erschoss – Kapitel 8 – Strobel

Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Der Mann, der da auf uns zu kam, wirkte in etwa so, wie ich mich fühlte: Vollkommen zerknautscht – einfach nur beschissen.
„Guten Morgen, Strobel mein Name. Hauptkommissar. Wer von Ihnen ist Juliette Murot?“
„Das bin ich.“
„Sie haben eine Leiche entdeckt?“
„Dort drüben in dem kleinen Durchgang zum Hinterhof.“
„Zeigen Sie sie mir. Und Sie warten bitte auf meine Kollegen. Wie heißen Sie, wenn ich fragen darf.“
„Mein Name ist Henrietta Wolter. Das ist mein Neffe Oskar Wolter. Die Tote ist seine Frau.“
War, dachte ich. Gloria war meine Frau.
„Vielleicht holen Sie schon einmal Ihre Ausweispapiere. Dann fällt es meinen Kollegen leichter, Ihre Personalien aufzunehmen. Und Sie, kommen mit mir.“
Er hatte auf mich gedeutet. Also fragte ich: „Meinen Sie mich?“
„Genau Sie. So wie Sie aussehen, haben Sie die Leiche Ihrer Frau ebenfalls schon gesehen. Da wird es Ihnen ja wohl nichts ausmachen, wenn Sie sie ein zweites Mal sehen.“
Ungehobelter Klotz, dachte ich.
Juliette und ich gingen mit dem Kommissar nach drinnen. Vor dem großen Saal bogen wir ab zur Hintertür.
„Wir haben die Tür wieder abgeschlossen“, sagte Juliette.
„Das war richtig von Ihnen“, antwortete der Kommissar. „Schließen Sie bitte wieder auf und dann geben Sie mir den Schlüssel. Ich brauche alle Schlüssel zu dieser Tür.“
„Das sind aber eine Menge“, sagte Juliette.
„Wieso?“
„Na, jedes Zimmer hat einen bekommen.“
Juliette reichte dem Kommissar den Schlüssel, der ihn interessiert betrachtete.
„Das ist ein Berliner Durchgangsschlüssel“, sagte ich.
„Ich weiß“, sagte der Kommissar.
Er schloss die Tür auf und zückte eine kleine Taschenlampe.
„Es gibt auch einen Lichtschalter“, sagte Juliette.
„Wissen Sie, ich überlege gerade, ob Sie nicht doch lieber vorne warten“, sagte der Kommissar.
„Ich wollte nur helfen.“
Der Kommissar ließ uns stehen und ging langsam auf Glorias Leichnam zu. Ich wandte den Blick ab und konzentrierte mich auf die Details im Vorraum. Da stand eine Uhr – so ein altes klobiges Teil, bei dem man erwartete, dass sie zu jeder vollen Stunde einen Heidenlärm veranstaltete – und eine seltsame Stelle an der Wand, die mir jetzt tatsächlich zum ersten Mal auffiel. Eigentlich hätte ich sie schon gestern sehen müssen, aber da war ich wohl zuerst zu beschäftigt und später dann zu betrunken gewesen. Die Wand war weiß verkleidet. An der seltsamen Stelle schien sich vor einiger Zeit eine Tür befunden zu haben, bis man übereingekommen war, die Tür zuzumauern. Wer weiß, wohin die Tür ursprünglich mal geführt haben mochte.
„Da haben wir dann wohl die Tatwaffe“, verkündete der Kommissar.
Ich blickte wieder in den Durchgang. Der Polizist hockte etwas abseits der Leiche und hielt eine Pistole in der Hand. Er hatte sich mittlerweile ein paar Handschuhe übergestreift und fasste die Pistole nur mit Daumen und Zeigefinger am Lauf. Die Waffe kam mir sehr bekannt vor.
„Das ist die Waffe von Magnus“, entfuhr es mir.
„Wer ist Magnus?“, fragte der Polizist.
„Das ist der Barkeeper“, sagte Juliette.
„Wieso läuft Ihr Barkeeper mit einer Walther P99 rum?“
„Er hatte sie im Auto verstaut“, sagte ich.
Von draußen näherten sich Schritte. Ein Mann und eine Frau sahen zur Tür herein.
„Ist Strobel da?“, fragte die Frau.
Der Kommissar hörte das und kam aus dem Durchgang zu uns in den Vorraum.
„Ah, die Spusi. Ich hätte hier ein Waffe, eine Leiche und unzählige Spuren.“
„Von denen du mindestens die Hälfte zertreten hast, du Trampel“, sagte die Frau.
„Du kannst mich mal gern haben, Janine. Ich brauche so schnell wie möglich die Fingerabdrücke auf dieser Waffe. Außerdem die Fingerabdrücke von diesem Barkeeper und am besten gleich von allen, die hier übernachten.“
„Ich hätte dann gerne noch einen Eiskaffee Latte mit einem Schuss Haselnuss“, sagte die Frau.
„Bringe ich dir sofort“, schnaubte der Kommissar.
Er wandte sich an uns.
„Sie beide erzählen mir jetzt, wer wann wie wo die Leiche gefunden hat.“
Mir wurde auf einmal flau im Magen – also noch flauer als ohnehin schon. Ich hatte die Leiche gefunden und ich wurde neben der Leiche gefunden. Und ich verwettete meine Tankstelle darauf, dass Gloria mit der Waffe erschossen worden war, die ich in der Hand gehalten hatte. Also mussten meine Fingerabdrücke darauf sein.
„Machen wir es kurz“, sagte ich. „Sie werden meine Abdrücke auf der Waffe finden. Oder die von Tom und Magnus. Ich habe Gloria in der Nacht gefunden und dann irgendwie das Bewusstsein verloren. Als ich wieder aufgewacht bin, kam auch schon Juliette.“
„Du hast furchtbar geschrien.“
„Setzen wir uns erst einmal hin. Und vielleicht können Sie irgendwo einen Kaffee auftreiben.“
Wir gingen in den Saal und setzten uns an einen Tisch. Diesmal war es nicht Glorias Sitzplatz.
„Ich hole den Kaffee“, sagte Juliette.
„Dann fangen wir mit Ihnen gleich mal an“, sagte der Kommissar. „Erzählen Sie mir doch einmal, wie Ihre Fingerabdrücke auf diese Waffe gekommen sein könnten.“
Ich erzählte dem Kommissar von unserem kleinen Ausflug gestern. Er hob die Augenbrauen und hielt die Luft an. Mir war egal, ob ich Tom und Magnus damit in eine brenzlige Situation bringen würde. Gloria war tot und da konnte ich doch keine Rücksicht auf zwei schießfreudige Männer nehmen.
„Sie haben also auf ein paar Tontöpfe gefeuert. Könnten Sie uns zeigen, wo das war?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Es war dunkel und ich war nicht so recht bei Sinnen.“
„Lassen Sie mich raten: Sie hatten ganz schön was getrunken.“
Erwischt.
„Ich kann mich nicht mehr an den Weg erinnern. Aber Tom wird Ihnen die Stelle zeigen können.“
„Das werden wir nachher überprüfen. Sie sagten, Sie hätten dort geschossen.“
„Und Tom.“
Der Kommissar zückte sein Telefon. Es dauerte einen Moment, ehe am anderen Ende abgehoben wurde.
„Ich brauche hier einen Schmauchspurentest und bringen Sie mir einen Tom …“
Der Kommissar sah mich fragend an.
„Wolter“, sagte ich.
„… einen Tom Wolter. Ebenfalls zum Schmauchspurentest.“
Er legte wieder auf.
„Sie haben nach dem Schießen also nach Ihrer Frau gesucht und sie dann schließlich in dem Durchgang entdeckt. Und dann?“
„Dann bin ich ohnmächtig geworden. Und als ich wieder aufgewacht bin, kam irgendwann Juliette. Ich muss wohl ziemlich laut geweint haben.“
In der Ferne hörte ich einen LKW oder einen Güterzug rumpeln.
„Da hat jemand geduscht“, sagte ich.
„Was?“
„Jemand hat geduscht. Davon bin ich wach geworden. Die Leitungen hier sind sehr laut.“
„Wann war das?“
„Das müsste gegen halb drei gewesen sein.“
„Haben Sie da drinnen irgendwas angefasst?“
„Meine Frau natürlich. Ich habe sie in den Arm genommen.“
„Aber die Waffe haben Sie nicht angerührt, oder?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Dann gehen Sie mal zu meinen Kollegen und geben Ihre Fingerabdrücke ab. Wir reden später noch einmal. Vielleicht kommt Ihnen bis dahin in den Sinn, wer Ihre Frau getötet haben könnte – außer Ihnen selbst natürlich.“
Ich ging nach vorne und suchte die Polizistin, bei der ich meine Fingerabdrücke nehmen lassen sollte. Magnus kam mir entgegen. Er wirkte verstört.
„Stimmt es, dass …“
Ich nickte.
„Jemand hat meine Frau erschossen. Möglicherweise mit deiner Waffe.“
„Was?“, fragte er.
„Sind Sie Magnus?“, fragte der Kommissar.
„Ja.“
„Würden Sie bitte kurz zu mir kommen? Ich habe einige Fragen zu Ihrer Waffe – und zu gestern Abend.“
Magnus betrat den Saal. Ich ging zum Durchgang und steckte meinen Kopf in den schmalen Flur. Man hatte Glorias Leiche bereits abtransportiert.
„Ich soll hier meine Fingerabdrücke abgeben.“
Die Polizistin drehte sich um.
„Warten Sie bitte noch einen Moment draußen.“
Ich drehte mich um und ging vor die Tür. Die Luft war kühl und die Sonne war bereits am Aufgehen. Ich blickte über die Felder. Gestern hatte ich die Landschaft gar nicht wirklich wahrgenommen. Ich tastete meine Hosentasche nach Zigaretten ab, fand aber keine. Also ließ ich meine Gedanken schweifen.
Wer könnte Gloria ermordet haben? Und was hatte sie in dem Durchgang gewollt. Wieso war sie nicht auf unserem Zimmer gewesen? Oder war sie vielleicht doch schon einmal … Ich stutzte. Gloria hatte nicht mehr ihr Kleid getragen, sondern eine Jeans und ein T-Shirt. Sie war also zwischenzeitlich mal auf unserem Zimmer gewesen, hatte sich umgezogen und war dann noch einmal nach unten gegangen. Wieso?
„Kommen Sie bitte rein?“
Die Polizistin riss mich aus meinen Gedanken.
Ich drehte mich um und ging nach drinnen. Dort hielt mir die junge Polizistin ein Stempelkissen entgegen. Ich drückte mit jedem meiner Finger in die schwarze Tinte und presste die Fingerspitzen dann auf die entsprechende Fläche auf einer Kartei – ich kam mir dabei vor wie ein Mörder in einem Fernsehfilm.
Danach untersuchte die Polizistin meine Hände.
„Das sieht ganz deutlich nach Schmauchspuren aus“, sagte sie. „Die sehe ich mir nachher im Labor genauer an. Bitte nicht mehr waschen.“
Ich sah meine Hände an. Erst jetzt bemerkte ich einen schwarzen Fleck wie von Ruß. Er musste vom Schuss mit der Pistole stammen.
„Das wärs fürs Erste. Sie können gehen.“
Ich drehte mich um und sah den Kommissar aus dem großen Saal kommen. Magnus folgte ihm. Die beiden kamen auf mich zu.
„Kommen Sie bitte mit nach draußen“, sagte der Kommissar.
An seine Kollegin gewandt sagte er: „Können Sie bitte einen gewissen Tom Wolter herholen?“
„Den haben wir schon hier. Fingerabdrücke sind schon genommen und abgeglichen. Er ist sauber. Schmauchspuren konnte ich auf den ersten Blick keine erkennen. Aber vielleicht finde ich später was im Labor.“
„Keine Übereinstimmung mit den Abdrücken auf der Waffe? Keine erkennbaren Schmauchspuren an der Hand?“
Die Polizistin schüttelte den Kopf.
„Also einer weniger. Er soll trotzdem mitkommen.“
„Wohin?“, fragte ich.
„Wir machen einen Spaziergang zu der Stelle im Wald, an der Sie angeblich geschossen haben.“
Was meinte der Kommissar mit angeblich?

© 2024 David schreibt

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