Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Der Mann, der da auf uns zu kam, wirkte in etwa so, wie ich mich fühlte: Vollkommen zerknautscht – einfach nur beschissen.
„Guten Morgen, Strobel mein Name. Hauptkommissar. Wer von Ihnen ist Juliette Murot?“
„Das bin ich.“
„Sie haben eine Leiche entdeckt?“
„Dort drüben in dem kleinen Durchgang zum Hinterhof.“
„Zeigen Sie sie mir. Und Sie warten bitte auf meine Kollegen. Wie heißen Sie, wenn ich fragen darf.“
„Mein Name ist Henrietta Wolter. Das ist mein Neffe Oskar Wolter. Die Tote ist seine Frau.“
War, dachte ich. Gloria war meine Frau.
„Vielleicht holen Sie schon einmal Ihre Ausweispapiere. Dann fällt es meinen Kollegen leichter, Ihre Personalien aufzunehmen. Und Sie, kommen mit mir.“
Er hatte auf mich gedeutet. Also fragte ich: „Meinen Sie mich?“
„Genau Sie. So wie Sie aussehen, haben Sie die Leiche Ihrer Frau ebenfalls schon gesehen. Da wird es Ihnen ja wohl nichts ausmachen, wenn Sie sie ein zweites Mal sehen.“
Ungehobelter Klotz, dachte ich.
Juliette und ich gingen mit dem Kommissar nach drinnen. Vor dem großen Saal bogen wir ab zur Hintertür.
„Wir haben die Tür wieder abgeschlossen“, sagte Juliette.
„Das war richtig von Ihnen“, antwortete der Kommissar. „Schließen Sie bitte wieder auf und dann geben Sie mir den Schlüssel. Ich brauche alle Schlüssel zu dieser Tür.“
„Das sind aber eine Menge“, sagte Juliette.
„Wieso?“
„Na, jedes Zimmer hat einen bekommen.“
Juliette reichte dem Kommissar den Schlüssel, der ihn interessiert betrachtete.
„Das ist ein Berliner Durchgangsschlüssel“, sagte ich.
„Ich weiß“, sagte der Kommissar.
Er schloss die Tür auf und zückte eine kleine Taschenlampe.
„Es gibt auch einen Lichtschalter“, sagte Juliette.
„Wissen Sie, ich überlege gerade, ob Sie nicht doch lieber vorne warten“, sagte der Kommissar.
„Ich wollte nur helfen.“
Der Kommissar ließ uns stehen und ging langsam auf Glorias Leichnam zu. Ich wandte den Blick ab und konzentrierte mich auf die Details im Vorraum. Da stand eine Uhr – so ein altes klobiges Teil, bei dem man erwartete, dass sie zu jeder vollen Stunde einen Heidenlärm veranstaltete – und eine seltsame Stelle an der Wand, die mir jetzt tatsächlich zum ersten Mal auffiel. Eigentlich hätte ich sie schon gestern sehen müssen, aber da war ich wohl zuerst zu beschäftigt und später dann zu betrunken gewesen. Die Wand war weiß verkleidet. An der seltsamen Stelle schien sich vor einiger Zeit eine Tür befunden zu haben, bis man übereingekommen war, die Tür zuzumauern. Wer weiß, wohin die Tür ursprünglich mal geführt haben mochte.
„Da haben wir dann wohl die Tatwaffe“, verkündete der Kommissar.
Ich blickte wieder in den Durchgang. Der Polizist hockte etwas abseits der Leiche und hielt eine Pistole in der Hand. Er hatte sich mittlerweile ein paar Handschuhe übergestreift und fasste die Pistole nur mit Daumen und Zeigefinger am Lauf. Die Waffe kam mir sehr bekannt vor.
„Das ist die Waffe von Magnus“, entfuhr es mir.
„Wer ist Magnus?“, fragte der Polizist.
„Das ist der Barkeeper“, sagte Juliette.
„Wieso läuft Ihr Barkeeper mit einer Walther P99 rum?“
„Er hatte sie im Auto verstaut“, sagte ich.
Von draußen näherten sich Schritte. Ein Mann und eine Frau sahen zur Tür herein.
„Ist Strobel da?“, fragte die Frau.
Der Kommissar hörte das und kam aus dem Durchgang zu uns in den Vorraum.
„Ah, die Spusi. Ich hätte hier ein Waffe, eine Leiche und unzählige Spuren.“
„Von denen du mindestens die Hälfte zertreten hast, du Trampel“, sagte die Frau.
„Du kannst mich mal gern haben, Janine. Ich brauche so schnell wie möglich die Fingerabdrücke auf dieser Waffe. Außerdem die Fingerabdrücke von diesem Barkeeper und am besten gleich von allen, die hier übernachten.“
„Ich hätte dann gerne noch einen Eiskaffee Latte mit einem Schuss Haselnuss“, sagte die Frau.
„Bringe ich dir sofort“, schnaubte der Kommissar.
Er wandte sich an uns.
„Sie beide erzählen mir jetzt, wer wann wie wo die Leiche gefunden hat.“
Mir wurde auf einmal flau im Magen – also noch flauer als ohnehin schon. Ich hatte die Leiche gefunden und ich wurde neben der Leiche gefunden. Und ich verwettete meine Tankstelle darauf, dass Gloria mit der Waffe erschossen worden war, die ich in der Hand gehalten hatte. Also mussten meine Fingerabdrücke darauf sein.
„Machen wir es kurz“, sagte ich. „Sie werden meine Abdrücke auf der Waffe finden. Oder die von Tom und Magnus. Ich habe Gloria in der Nacht gefunden und dann irgendwie das Bewusstsein verloren. Als ich wieder aufgewacht bin, kam auch schon Juliette.“
„Du hast furchtbar geschrien.“
„Setzen wir uns erst einmal hin. Und vielleicht können Sie irgendwo einen Kaffee auftreiben.“
Wir gingen in den Saal und setzten uns an einen Tisch. Diesmal war es nicht Glorias Sitzplatz.
„Ich hole den Kaffee“, sagte Juliette.
„Dann fangen wir mit Ihnen gleich mal an“, sagte der Kommissar. „Erzählen Sie mir doch einmal, wie Ihre Fingerabdrücke auf diese Waffe gekommen sein könnten.“
Ich erzählte dem Kommissar von unserem kleinen Ausflug gestern. Er hob die Augenbrauen und hielt die Luft an. Mir war egal, ob ich Tom und Magnus damit in eine brenzlige Situation bringen würde. Gloria war tot und da konnte ich doch keine Rücksicht auf zwei schießfreudige Männer nehmen.
„Sie haben also auf ein paar Tontöpfe gefeuert. Könnten Sie uns zeigen, wo das war?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Es war dunkel und ich war nicht so recht bei Sinnen.“
„Lassen Sie mich raten: Sie hatten ganz schön was getrunken.“
Erwischt.
„Ich kann mich nicht mehr an den Weg erinnern. Aber Tom wird Ihnen die Stelle zeigen können.“
„Das werden wir nachher überprüfen. Sie sagten, Sie hätten dort geschossen.“
„Und Tom.“
Der Kommissar zückte sein Telefon. Es dauerte einen Moment, ehe am anderen Ende abgehoben wurde.
„Ich brauche hier einen Schmauchspurentest und bringen Sie mir einen Tom …“
Der Kommissar sah mich fragend an.
„Wolter“, sagte ich.
„… einen Tom Wolter. Ebenfalls zum Schmauchspurentest.“
Er legte wieder auf.
„Sie haben nach dem Schießen also nach Ihrer Frau gesucht und sie dann schließlich in dem Durchgang entdeckt. Und dann?“
„Dann bin ich ohnmächtig geworden. Und als ich wieder aufgewacht bin, kam irgendwann Juliette. Ich muss wohl ziemlich laut geweint haben.“
In der Ferne hörte ich einen LKW oder einen Güterzug rumpeln.
„Da hat jemand geduscht“, sagte ich.
„Was?“
„Jemand hat geduscht. Davon bin ich wach geworden. Die Leitungen hier sind sehr laut.“
„Wann war das?“
„Das müsste gegen halb drei gewesen sein.“
„Haben Sie da drinnen irgendwas angefasst?“
„Meine Frau natürlich. Ich habe sie in den Arm genommen.“
„Aber die Waffe haben Sie nicht angerührt, oder?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Dann gehen Sie mal zu meinen Kollegen und geben Ihre Fingerabdrücke ab. Wir reden später noch einmal. Vielleicht kommt Ihnen bis dahin in den Sinn, wer Ihre Frau getötet haben könnte – außer Ihnen selbst natürlich.“
Ich ging nach vorne und suchte die Polizistin, bei der ich meine Fingerabdrücke nehmen lassen sollte. Magnus kam mir entgegen. Er wirkte verstört.
„Stimmt es, dass …“
Ich nickte.
„Jemand hat meine Frau erschossen. Möglicherweise mit deiner Waffe.“
„Was?“, fragte er.
„Sind Sie Magnus?“, fragte der Kommissar.
„Ja.“
„Würden Sie bitte kurz zu mir kommen? Ich habe einige Fragen zu Ihrer Waffe – und zu gestern Abend.“
Magnus betrat den Saal. Ich ging zum Durchgang und steckte meinen Kopf in den schmalen Flur. Man hatte Glorias Leiche bereits abtransportiert.
„Ich soll hier meine Fingerabdrücke abgeben.“
Die Polizistin drehte sich um.
„Warten Sie bitte noch einen Moment draußen.“
Ich drehte mich um und ging vor die Tür. Die Luft war kühl und die Sonne war bereits am Aufgehen. Ich blickte über die Felder. Gestern hatte ich die Landschaft gar nicht wirklich wahrgenommen. Ich tastete meine Hosentasche nach Zigaretten ab, fand aber keine. Also ließ ich meine Gedanken schweifen.
Wer könnte Gloria ermordet haben? Und was hatte sie in dem Durchgang gewollt. Wieso war sie nicht auf unserem Zimmer gewesen? Oder war sie vielleicht doch schon einmal … Ich stutzte. Gloria hatte nicht mehr ihr Kleid getragen, sondern eine Jeans und ein T-Shirt. Sie war also zwischenzeitlich mal auf unserem Zimmer gewesen, hatte sich umgezogen und war dann noch einmal nach unten gegangen. Wieso?
„Kommen Sie bitte rein?“
Die Polizistin riss mich aus meinen Gedanken.
Ich drehte mich um und ging nach drinnen. Dort hielt mir die junge Polizistin ein Stempelkissen entgegen. Ich drückte mit jedem meiner Finger in die schwarze Tinte und presste die Fingerspitzen dann auf die entsprechende Fläche auf einer Kartei – ich kam mir dabei vor wie ein Mörder in einem Fernsehfilm.
Danach untersuchte die Polizistin meine Hände.
„Das sieht ganz deutlich nach Schmauchspuren aus“, sagte sie. „Die sehe ich mir nachher im Labor genauer an. Bitte nicht mehr waschen.“
Ich sah meine Hände an. Erst jetzt bemerkte ich einen schwarzen Fleck wie von Ruß. Er musste vom Schuss mit der Pistole stammen.
„Das wärs fürs Erste. Sie können gehen.“
Ich drehte mich um und sah den Kommissar aus dem großen Saal kommen. Magnus folgte ihm. Die beiden kamen auf mich zu.
„Kommen Sie bitte mit nach draußen“, sagte der Kommissar.
An seine Kollegin gewandt sagte er: „Können Sie bitte einen gewissen Tom Wolter herholen?“
„Den haben wir schon hier. Fingerabdrücke sind schon genommen und abgeglichen. Er ist sauber. Schmauchspuren konnte ich auf den ersten Blick keine erkennen. Aber vielleicht finde ich später was im Labor.“
„Keine Übereinstimmung mit den Abdrücken auf der Waffe? Keine erkennbaren Schmauchspuren an der Hand?“
Die Polizistin schüttelte den Kopf.
„Also einer weniger. Er soll trotzdem mitkommen.“
„Wohin?“, fragte ich.
„Wir machen einen Spaziergang zu der Stelle im Wald, an der Sie angeblich geschossen haben.“
Was meinte der Kommissar mit angeblich?