Passend zum Titel erscheint der heutige Text leicht verspätet. Ich wünsche euch trotzdem viel Spaß beim Lesen.
Die Leute sagen,
unseres sei das verschlafenste Nest der Welt. Sie sagen das mit einer solchen
Verachtung, dass man sich fragen muss, was ihnen ihr Leben in der schnellen
Welt dort draußen, mit all den Burnouts, der Arbeitslosigkeit und dem ganzen
Gesindel, gibt. Was bringt einem ein Smartphone mit bestem Netzempfang, wenn es
einen doch nur wieder und wieder daran erinnert, dass man dem Leben nicht
genügen kann? Niemand, der von draußen je bei uns zu Besuch war und verzweifelt
nach einem einzigen Balken Empfang gesucht hat, konnte mir diese Frage bisher
befriedigend beantworten.
Was einem das Leben in unserem Nest daher beschert – wobei „beschert“ zu
negativ klingt, es müsste heißen „darreicht“ – was es einem also darreicht, ist
frisches Brot vom Bäcker, gebacken aus Mehl vom Müller, frische Milch von
glücklichen Kühen vom Bauer Reimund oder vom Tillmann, nette Nachbarn und vor
allem Ruhe. Unendliche Ruhe.
Die meisten denken, die Ruhe entstünde, weil es bei uns keine Kinder gibt. Doch
die gibt es. Sie gehen entweder in den Kindergarten neben der Kirche oder
werden in der Schule vom alten Pichler unterrichtet. Es kommen zwar noch zwei
junge Lehrerinnen von außerhalb, doch der Pichler hat die beiden gut im Griff,
so dass sie unseren Buben und Mädeln nichts beibringen, was sie nicht wissen
brauchen. Wer will schon Französisch lernen, wenn er doch nie in die Welt
hinaus gehen möchte?
Die Ruhe im Dorf kommt woanders her. Wenn man tagsüber durch die Straßen
schlendert, um vielleicht im Kaufladen Obst zu holen, hört man ein Brummen und
kein Gerede, da jeder bei der Arbeit ist. Denn bei uns gibt es niemanden, der
mal eben nichts zu tun hätte. Jeder hat sein Tagewerk zu verrichten. Manche
freilich außerhalb, da die Näherei neben der alten Schmiede nicht für jeden
einen Arbeitsplatz bietet, doch von halb acht bis nachmittags um fünf geht
jeder seiner Pflicht nach.
Die Ruhe spürt man auch im Wald, der uns umgibt. Hier zwitschern noch die
Vöglein, springen die Rehe durchs Unterholz, denn hier gibt es nichts als
Natur. Kein Müll liegt abscheulich auf der Erde rum und vergiftet die Tiere
oder stört den Blick des Wanderers. Kein Windrad verschandelt die Umwelt mit
seiner Monstrosität. Natürlich gab es einst Bestrebungen solch ein Ding zu errichten,
um die Gemeinde mit Strom zu versorgen, doch der beherzte Protest der Bürger
hat dafür gesorgt, dass diese Sünde am Landschaftsbild die Nachbargemeinde begnügt.
„Was“, so fragen die Leute von außerhalb, „ist denn das Besondre an euch
Dörflern?“
Menschen, die solche Fragen stellen, erzähle ich von den allsonntäglichen
Fußballspielen unserer Mannschaft. Wenn die Vereine der Nachbargemeinden zu uns
auf den Sportplatz kommen, ist das ganze Dorf versammelt. Man isst Rindswurst –
stets steht der Tillmann am Grill und kann auf Nachfrage den Namen der Kuh
nennen, die man soeben verspeist -, trinkt Bier und auf dem Platz wird
gekämpft, bis der letzte Mann nicht mehr laufen kann. Hier sind wir unter uns,
denn die Zuschauer der Gastmannschaften finden meist den Weg nicht, mit ihren
teuren Navigationscomputern und Smartphones.
Manchmal habe ich Angst, es könne sich etwas ändern. Etwa, wenn mal wieder
einer von der Telefongesellschaft kommt, um einen Standort für einen dieser
Sendemasten zu finden. Dann ruht alle Hoffnung auf dem Förster. Siegbert macht
dann nämlich die Geländebegehung mit dem Herrn. Der ist anfangs immer ganz
angetan von der schönen Natur und findet es eigentlich auch schade, dass hier
bald eines dieser Dinger aufgebaut werden soll. Doch spätestens, wenn Siegbert
im die alte Fledermaushöhle gezeigt hat, ist wieder Ruhe. Dann muss nur noch
jemand den Wagen des Heinis entsorgen, falls man nach ihm sucht. Doch, sollte
jemand kommen und Nachforschungen anstellen, wäre noch genug Platz bei den
Fledermäusen.
Ende
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