Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Unten war mittlerweile ziemlich was los. Die meisten Gäste kannte ich nicht – viele waren offensichtlich Freunde von Henrietta oder Bekannte und Verwandte aus einem anderen Familienzweig. Ich sah Tom, Annabelle, Simone und noch eine ältere Frau. Das musste Juliette sein, die Mitbewohnerin meiner Tante.
Gloria trug ihr rotes Kleid – es war eher weinrot – und Schuhe mit hohen Absätzen, was sie eigentlich nicht mochte. Wir sahen uns nach etwas zu trinken um. Ich erblickte die Bar und ging zielstrebig auf den jungen Mann zu, der die Gäste bediente. Ich erkannte in ihm Magnus wieder, mit dem Gloria sich bei meiner Ankunft unterhalten hatte.
„Guten Abend Herr Wolter, was darf ich Ihnen anbieten?“, fragte er, als ich den Tresen erreicht hatte.
„Zweimal Weißwein“, antwortete ich.
Eigentlich trank ich viel lieber Rotwein, doch Gloria bevorzugte weißen und so beugte ich mich der Mehrheit – also der Machtinhaberin. Man könnte sagen, dass ich aus Liebe zu meiner Frau versuchte, Weißwein etwas Positives abzugewinnen.
„Ich hätte hier einen wunderbaren Sauvignon Blanc.“
„Immer her damit.“
Während Magnus den Wein einschenkte, lehnte ich mich an den Tresen und sah mich im Raum um. Auf den Tischen standen jetzt Wasserflaschen und Brotkörbe. Etwas abseits von allem stand ein Klavier – eines von den großen Dingern, die man, so denke ich jedenfalls, Flügel nennt. Direkt neben dem Klavier stand eine Musikanlage. Henrietta schien aus unerfindlichen Gründen davon auszugehen, dass irgendjemand Musik hören wollte – oder schlimmer noch: Tanzen würde.
Gleich neben mir an der Bar stand ein älterer Herr. Wobei ich durch einen zweiten Blick feststellte, dass er gar nicht viel älter war als ich. Er war einfach nur viel älter gekleidet.
„Hier bitte sehr“, sagte Magnus, riss mich aus meinen Betrachtungen der Umgebung und reichte mir die bestellten Gläser.
„Danke“, sagte ich nur und nahm die Gläser an mich. Ich war mir nicht sicher, ob ich ein Trinkgeld geben sollte. Da es ein langer Abend werden würde, entschied ich mich dazu, noch etwas zu warten, ehe ich die Spendierhosen anziehen würde.
Ich ging zurück zu Gloria und reichte ihr die beiden Gläser. Sie hatte sich mit einer Frau unterhalten, unterbrach ihr Gespräch aber sofort, sobald ich neben ihr stand.
„Danke, Schatz“, sagte sie und nippte an ihrem Wein.
„Der ist gut, oder?“, fragte ich.
„Sehr gut“, entgegnete sie.
„Wollen wir uns setzen?“
„Gleich, Oskar. Ich suche Tom. Hast du ihn gesehen?“
„Vorhin stand er noch dort neben dem Klavier.“
„Das ist ein Flügel“, verbesserte sie mich.
„Kann schon sein. Jedenfalls habe ich ihn dort gesehen.“
„Ich gehe ihn mal suchen.“
„Was willst du denn von ihm?“
„Such schon mal einen Platz aus. Ich bin gleich wieder da.“
Sie ließ mich stehen. Also suchte ich einen Platz – etwas abseits, aber nicht so weit weg vom Schuss – und stellte mein Glas ab. Ich hängte mein Jackett über die Stuhllehne – das Strandtuch einer jeden Feier – und ging zurück zur Bar.
„Hallo nochmal. Hätten Sie vielleicht auch einen schönen, schweren Rotwein?“, fragte ich Magnus.
„Ich hätte hier einen trockenen Lagrein.“
„Sehr gut. Davon bitte ein halbes Glas.“
„Wieso erklären Sie Ihrer Frau nicht einfach, dass Sie etwas anderes trinken wollen als sie?“, fragte der Mann in den altmodischen Klamotten neben mir.
„Wie?“, fragte ich eloquent zurück.
„Na, Sie können Ihrer Gattin doch einfach sagen, dass Sie lieber roten trinken und Ihre Frau trinkt ihren weißen. Was ist so schwer daran?“
„Nun, das ginge vermutlich“, sagte ich und wandte mich wieder an Magnus.
„Gießen Sie das Glas ruhig voll.“
Magnus tat wie ich ihn hieß. Ich nahm das Glas an mich und wandte mich wieder zur Seite, um mich dem Mann vorzustellen. Doch er hatte sich bereits davon gemacht. Ich sah ihn, wie er sich mit Annabelle unterhielt. Vielleicht ergab sich ja im Laufe des Abends noch die Möglichkeit, seine Bekanntschaft zu machen.
Ich ging zurück zu meinem Platz. Kaum dass ich saß, kam auch schon Gloria und setzte sich neben mich. Sie hatte ihr Glas bereits ausgetrunken.
„Einen guten Platz hast du ausgesucht“, sagte sie und griff nach meinem Weißweinglas.
„Nicht zu nah dran, aber auch nicht in der hintersten Ecke“, murmelte ich.
„Du trinkst Rotwein?“
„Ja. Ich hatte gerade mal Lust auf einen roten. Außerdem gibt es keinen Grund, weshalb wir nicht zwei verschiedene Weine trinken können.“
Sie trank einen weiteren Schluck, ohne auf meine Argumentation einzugehen.
„Hast du Tom gefunden?“
„Ja.“
„Was wolltest du denn vom ihm?“
„Och, nichts. Ich wollte ihm nur etwas geben.“
„Aha.“
Wir nippten an unseren Gläsern.
„Hast du schon mit Tante Henrietta gesprochen?“, frage ich.
„Noch nicht. Das können wir nachher zusammen machen.“
„Du hast doch den Umschlag, oder?“
„In meiner Handtasche.“
Tante Henrietta hatte darauf bestanden, keine Geschenke zu ihrem Geburtstag zu erhalten. Das letzte Hemd habe keine Taschen und sie müsse eher zusehen, wie sie all ihren Besitz loswerde, anstatt neuen anzuhäufen. Also hatte sie eine Spendenbox für Kinder in Not aufgestellt und darum gebeten, eifrig zu geben. Eine Heilige. Aber wahrscheinlich war sie tatsächlich in einem Alter, in dem es angebracht war, sich um sein Seelenheil zu kümmern.
„Weißt du, wer der Mann neben Annabelle ist?“, fragte ich.
Gloria sah sich kurz im Saal um, ehe sie Annabelle erblickte.
„Der Herr in dem schicken Anzug? Den habe ich noch nie gesehen. Interessant sieht er aus.“
„Ich glaube, ich hole mir noch ein Glas“, sagte ich und stand auf.
„Bringst du mir auch noch eins mit?“
Ich sah sie erstaunt an. Drei Gläser in so kurzer Zeit?
„Für nachher, zum Essen“, sagte sie.
Irgendwie war es ihr gelungen, meine Gedanken zu lesen.
Ich ging zurück zu Magnus und gab meine Bestellung auf.
„Weißt du, wer der Herr ist, der eben hier gestanden hat?“, frage ich Magnus.
„Der mit der Weste?“, fragte er zurück.
„Genau.“
„Nie gesehen. Aber ich kenne hier außer Tom und Henrietta niemanden.“
„Aber müssen Barkeeper nicht immer ihre Kunden in ein Gespräch verwickeln? Sie wissen schon: Wie im Krimi.“
Magnus lachte.
„Das kann schon sein. Doch eigentlich bin ich gar kein Barkeeper. Ich mache das nur, weil der richtige Barkeeper die Grippe hat.“
„Auf jeden Fall machen Sie Ihre Sache gut“, sagte ich und beschloss, dass es Zeit für ein erstes Trinkgeld war. Ich griff in meine Hosentasche und zog einen Zwanziger hervor.
„Hier, für Sie.“
„Danke, aber das kann ich nicht annehmen.“
„Wenn Sie es nicht annehmen, sage ich es meiner Frau. Und die kann sehr überzeugend sein.“
„Das habe ich bereits gehört“, sagte Magnus.
Ich lachte.
„Sie meinen die Sache mit dem Wein? Nun, eigentlich hat sie nie irgendwas gesagt. Ich habe mich eher aus vorauseilendem Gehorsam gebeugt.“
Jetzt war es an Magnus zu lachen.
„Geben Sie her“, sagte er und nahm den Geldschein.
„Bevor ich es mit ihrer Frau zu tun bekommen, nehme ich lieber Ihr Trinkgeld an.“
Ich lachte ebenfalls, nahm die Weingläser und ging damit zurück zu Gloria. Sie knabberte an einem Stück Brot und blickte nachdenklich ins Nirgendwo.
„Hier Schatz“, sagte ich und stellte den Wein vor ihr auf den Tisch.
Gloria zuckte zusammen.
„Danke“, sagte sie etwas übereilt.
„Es hat etwas länger gedauert. Ich habe mich noch mit diesem Magnus unterhalten. Du weißt schon: Der Mann, mit dem du heute auf der Terrasse gestanden hast.“
„Ah, Herr Holgersson. Das ist ein ganz netter“, sagte sie. „Er ist ein Freund von Tom.“
„Richtig. Wo ist der überhaupt?“
„Wer?“, fragte Gloria.
„Tom. Ich sehe ihn nirgendwo.“
„Ach der. Der war vorhin noch draußen im Durchgang.“
„Was wolltest du eigentlich von ihm?“
„Nichts wichtiges.“
Mittlerweile merkte sogar ich, dass Gloria mir auswich.
„Hast du Sophia gesehen?“, fragte sie.
„Nein.“
„Vielleicht guckst du mal nach ihr. Sie sah ja wirklich nicht gut aus.“
„Das hat sich erledigt“, sagte ich und winkte Sophia zu, die in diesem Moment den Saal betrat.