Es tut gut, wenn man die Rückmeldung bekommt, eine Geschichte hätte einem Leser gut getan. Die folgende Geschichte ist eine solche (möglicherweise ist es die einzige meiner Geschichten, über die jemals so etwas gesagt wurde). Der Titel stammt wie schon zuletzt vom Lutz.

„Wieso tun Menschen Gutes?“, fragte Maria in ihrer beider Schweigen hinein und Josef runzelte die Stirn.
„Was?“
Mehr kam nicht. Josef nippte an seinem Bier. Seine Zigarette war mittlerweile im Aschenbecher zusammengeschrumpft.
„Ich meine, wieso tun Menschen anderen Menschen Gutes?“, fragte Maria erneut. Ihr Bier war bereits leer. Sie gab Sophie, die heute hinter dem Tresen stand, ein Zeichen.
„Wieso tun Menschen überhaupt etwas?“, fragte Josef und zündete sich eine neue Zigarette an. „Wenn es nach mir ginge, könnten wir ruhig den ganzen Tag, jeder schön für sich, in unserer jeweiligen Wohnung vor uns hin versumpfen.“
„Jetzt hör auf, mich zu verarschen“, entrüstete sich Maria. „Ich weiß auch nicht, wo der Gedanke auf einmal herkam.“
Josef trank sein Bier aus und winkte ebenfalls zu Sophie, die bereits ein neues für Maria gezapft hatte.
„Okay, dann denken wir mal für einen kurzen Moment über deine hochphilosophische Frage nach.“
Er tat so, als müsste er angestrengt grübeln. Dazu kratzte er sich mit der Hand, die jetzt eine neue Zigarette hielt, am Haaransatz. Weiße Asche regnete leise auf seine Schultern.
„Wer sagt denn überhaupt, dass das so ist?“ Josef schien jetzt Gefallen daran gefunden zu haben, mit Maria über was anderes als die letzte Folge von „Berlin Tag und Nacht“ zu reden. „Wer bestimmt denn überhaupt, was gut ist und was nicht?“ Er zog an seiner Zigarette und Maria wollte schon antworten, doch Josef ließ sie nicht. „Was ich als gut ansehe, muss Sophie noch lange nicht gut finden. Wenn ich zum Beispiel Peter einen Schnaps ausgeben will, weil ich ja ein so guter Mensch bin, dann wird Sophie sich mit Sicherheit weigern, weil sie weiß, wie viele Peter schon intus hat und wie nah er an einer weiteren Alkoholvergiftung mit Krankenhausaufenthalt ist.“
Josef schwieg jetzt und sah Maria auffordernd an. Wie ein kleines Kind, das von seinem Vater hören möchte, wie hübsch das neuste Bild geworden ist, das es mit der Tante im Kindergarten gemalt hat. Maria schwieg ebenfalls. Sie sah ihrem Bierschaum beim Zerfallen zu. Als fast kein Schaum mehr da war, trank sie einen großen Schluck. Schließlich drehte sie sich um und sagte: „Es gibt aber doch Sachen, die sind immer gut. Wenn ich zum Beispiel jemandem mein Parkticket schenke, weil ich nicht so lange parken musste. Dann habe ich doch etwas Gutes getan.“ Sie fischte einen Moment nach dem Gedanken, der ihr im Kopf herumschwirrte. „Wieso? Warum tue ich sowas? Es hat für mich absolut keinen Nutzen.“
„Hm“, machte Josef. Und „Aha.“ Schließlich brachte er doch noch einen ganzen Satz heraus. „Glaubst du an Karma?“
„Wie bitte?“
„Ich mein ja nur. Es gibt Leute, die daran glauben, dass man so behandelt wird, wie man die anderen behandelt. Entweder jetzt, oder in einem nächsten Leben.“
Maria schüttelte den Kopf.
„Ne, an so einen Scheiß glaub ich nicht. Wenn’s vorbei ist, ist’s vorbei.“
„Das schon“, pflichtete Josef ihr bei, „aber glaubst du nicht manchmal, dass sich irgendwer – das Schicksal oder Gott oder das Universum – merkt, was du tust und dir das irgendwie in Rechnung stellt?“
Maria schüttelte den Kopf. „Nach allem, was ich weiß, sind wir hier verdammt allein. Kein Gott, kein Schicksal und keine scheiß Kräfte des Universums.“
Sophie brachte zwei neue Biere. Sie stellte sie ab und machte die Striche auf die Deckel.
„Entschuldigung, ich wollte euch bestimmt nicht belauschen, aber darf ich sagen, was meine Großmutter mir immer zu dem Thema gesagt hat?“
„Klar!“, sagte Josef, der sein neues Bier bereits zu einem Drittel geleert hatte. „Nur raus damit!“
„Sie hat immer gesagt: ‚Was lange währt, wird endlich gut.‘“
„Toll. Und was soll mir das jetzt sagen?“, blaffte Maria.
„Es kann doch so sein, wie Joe gesagt hat. Man tut gute Dinge im Leben, weil man darauf hofft, dass einem Andere auch mal gute Dinge tun. Und manchmal hat man vielleicht eine Durststrecke. So ähnlich wie ein ganzer Abend ohne Trinkgeld. Und trotzdem ist man nur am Lächeln und ist höflich zu allen Gästen.“
Marie wurde ein bisschen beschämt, da sie noch nie Trinkgeld gegeben hatte.
„Aber dann kommt irgendwann der Gast, der sein Bier mit einem Zehner bezahlt und nur sagt ‚Stimmt so.‘ Und dann weiß man, wieso man den ganzen Abend über so freundlich war.“
„Sag ich ja“, sagte Josef und trank sein Bier aus.

Ende