Have a break, write a book

Kategorie: Prosa (Seite 2 von 4)

Alle Texte, die nicht bei drei auf den Bäumen waren.

Der Tag, an dem Oskar seine Frau erschoss – Kapitel 2 – Sophia

Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Sophia war schon immer eine Idealistin. Und genau das wurde ihr an diesem Tag zum Problem. Sie ist meine Cousine – meine Tante Cornelia war ihre Mutter – und wir kennen uns schon seit unserer Kindheit. Sophias Idealismus zeichnete sich bereits im Kindergarten ab, wenn sie die Bauklötze gerecht auf alle Kinder aufteilte oder allen solange untersagte, Bilder auszumalen, bis nicht auch der kleine Timo ein paar Buntstifte bekam. Dass Timo in Wahrheit viel lieber mit den Kuscheltieren spielen wollte, interessierte niemanden.
Im Alter von zehn Jahren verkündete Sophia, sie sei nun Vegetarierin. Keine zwei Jahre später konvertierte sie zum Veganismus – alles der Umwelt zur liebe, und weil sie es nicht ertrug, dass ihretwegen Lebewesen auf die grausamste Art ausgebeutet wurden. Wieso musste sie mir diesen Vortrag ausgerechnet halten, als ich gerade genüsslich ein Steak in mich hineinschaufelte?
Wie dem auch sei. Sophia besaß aus diesem Grunde auch kein Auto und mied Taxen, wo es nur ging, da sie es nicht aushielt, dass ein Fahrzeug nur ihretwegen giftige Abgase in die Umwelt pustete. Also fuhr sie Bahn, Bus und Rad oder ging schlicht alles zu Fuß. In Berlin konnte sie sich das erlauben, doch wenn größere Strecken zurückzulegen waren, kam sie ganz schön in die Bredouille. Und wieso musste Tante Henrietta ihren Geburtstag auch am Arsch der Welt feiern?
Sophia fuhr also mit dem Bus von Berlin raus aufs Land. Ihr Gepäck bestand aus einem fair gehandelten, biologisch abbaubaren Koffer, der aussah, als fiele er jeden Moment zusammen. Wenigstens könnte man ihn dann direkt an Ort und Stelle liegen lassen – denn ich bin mir sicher, dass Sophias Kleidung ebenfalls biologisch abbaubar ist.
Sophia rief mich von unterwegs aus an.
„Hallo Lieblingscousin“, sagte sie.
„Hallo Lieblingscousine“, erwiderte ich, was ein wenig unsinnig ist, da Sophia meine einzige Cousine ist.
„Kannst du mich in einer Viertelstunde an der Bushaltestelle abholen?“
„Hältst du es denn aus, dass ich extra für dich mit dem Auto fahre?“
„Es ist ja auch für Tante Henrietta“, sagte sie.
„Dann ist es wohl in Ordnung. Ich mache mich sofort auf den Weg. Sag mir nur noch, wo genau ich dich abholen soll.“
Sophia nannte die Haltestelle und ich machte mich auf den Weg.
Die Fahrt dauerte keine fünf Minuten, so dass mir noch Zeit blieb, eine Zigarette zu rauchen, bevor Sophia mir Vorwürfe machen konnte, ich zerstöre nicht nur mein Leben, sondern auch die Umwelt und vor allem die Natur in Südamerika.
Nach der Zigarette lutschte ich ein Pfefferminzbonbon, um den Geruch des Rauches zu überspielen. Ich kam mir ein bisschen vor wie damals in der fünften Klasse, als ich mit dem Rauchen angefangen hatte.
Das Bonbon hatte sich soeben in seine zuckrigen Bestandteile aufgelöst, da kam auch schon der Bus. Sophia war der einzige Fahrgast. Wir begrüßten uns herzlich und ich lud ihren Koffer in mein Auto. Als ich den Motor startete, schaltete Sophia die Klimaanlage aus und öffnete stattdessen das Fenster.
„Wenn du maximal 80 Stundenkilometer fährst, ist es besser, wenn du das Fenster offen hast. Außerdem produzierst du nicht so viel Kohlendioxid, wenn du langsamer fährst.“
„Aber ich bekomme einen steifen Hals“, sagte ich, schloss die Fenster wieder und schaltete die Klimaanlage an.
„Typisch Mann“, sagte Sophia und verdrehte die Augen.
„Wie geht es dir?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
„Gut.“
Ich schielte auf den Beifahrersitz. Sophia war noch dünner geworden und sah schrecklich aus. Dass es ihr gut ging, konnte sie einem Deppen erzählen, der zu blöd wäre, aus einem Boot ins Meer zu pinkeln. Ich entschloss mich, nicht auf ihren Gesundheitszustand einzugehen.
„Was macht die Arbeit?“
„Die läuft super!“
Lüge Nummer zwo.
„Wenn alles klappt, kriege ich für mein nächstes Projekt eine Förderung vom Land. Vielleicht sogar eine vom Staat. Es wird super.“
„Was machst du zur Zeit?“
„Eine WiSim für Mobile“, sagte Sophia, als verstünde irgendjemand, was sie meinte.
„Ach so“, entgegnete ich nur. „Und worum geht es?“
„Ich entwickle eine Wirtschaftssimulation, bei der es darauf ankommt, den Planeten durch kluge Entscheidungen zu retten und auf der Welt eine gerechte und soziale Umverteilung der Ressourcen zu erreichen.“
„Okay.“
Sophia entwickelte Videospiele. Neben ihrem Idealismus in allen Dingen waren Computerspiele schon immer ihre Leidenschaft gewesen. Als ich sie einmal darauf hingewiesen hatte, dass man für die Herstellung von Computern auf Rohstoffe zurückgriff, die in ärmeren Ländern gewonnen wurden, warf sie mir Schlicht „Whataboutism“ vor. Ich musste das Wort erst einmal nachschlagen. Nachdem ich festgestellt hatte, dass es sich nur um eine bloße Rechtfertigungsausrede handelte, die gerne benutzt wurde von Leuten, die unethisch handelten, dachte ich mir, dass es die Luft zum Atmen nicht Wert sei, mich auf eine Diskussion mit Sophia einzulassen.
Aber ich schweife ab. Sophia bastelt also Computerspiele. Und sie erhält Fördergelder. Und aus unerfindlichen Gründen verliert sie permanent an Gewicht.
„Wie geht es Gloria?“, fragte Sophia.
„Gut. Sie sprüht vor Energie. Sie handelt immer noch mit irgendwelchen Dingen im Internet. Frag lieber nicht.“
„Und deine Tankstelle läuft gut?“
„Sehr gut sogar.“
Auf einer Skala der Verachtung von eins bis zehn erhalte ich von Sophia für meine Investition in eine Tankstelle mindestens eine neun. Aber sie arbeitet an sich und hat sich mittlerweile ganz gut im Griff.
„So, da wären wir“, sagte ich, als ich den Golf zum zweiten Mal an diesem Tag auf den Parkplatz vor dem Schloss lenkte.
Sophia stieg aus und hatte sich, ehe ich ihr meine Hilfe anbieten konnte, schon ihren Koffer geschnappt.
„Danke fürs Abholen. Bis nachher“, sagte sie und verschwand nach drinnen.
Ich blieb noch neben dem Auto stehen und rauchte eine zweite Zigarette.
Was war nur los mit Sophia? Ich vermutete nicht, dass sie krank war. Sie hatte eher abgemagert gewirkt – fast so, als habe sie in letzter Zeit nichts gegessen. Dabei liebte sie es, zu essen. Schon als Kind hatte sie immer Unmengen verschlungen. Anfangs noch Wurst und Käse und Fleisch, später dann Salat und Salat und Salat. Aber sie hatte noch nie so ausgezehrt gewirkt. Vermutlich hatte sie einfach Stress auf der Arbeit und dabei das Essen vergessen. Ich würde sie am Abend im Auge behalten.
Gloria kam aus dem Schloss.
„Oskar, da steckst du. Ich habe dich überall gesucht.“
„Ich habe Sophia vom Bus abgeholt.“
„Das dachte ich mir schon. Aber jetzt komm rein. Du musst dich doch noch umziehen.“
Ich sah auf die Uhr. Es war mittlerweile kurz vor fünf. In einer Stunde sollte der ganze Zinnober losgehen. Ich warf meine Zigarette auf den Boden und zertrat sie mit dem Absatz. Dann ging ich mit Gloria nach drinnen.
„Was guckst du denn so nachdenklich?“, fragte sie.
„Es ist nichts. Nur Sophia macht mir ein wenig Sorgen.“
„Wieso?“
„Sie wirkt so gestresst.“
„Sie ist eine selbstständige Frau und groß genug, selbst auf sich aufzupassen.“
„Vielleicht sollte ich mal mit ihr reden.“
„Tu, was du nicht lassen kannst. Aber untersteh dich, Witze über ihren Lebensstil zu machen.“
„Ich doch nicht“, sagte ich lachend.
Wir hatten unser Zimmer erreicht.
„Jetzt zieh dich schnell um und dann ab nach unten“, wies Gloria mich an.
„Ich dusche vorher nochmal.“
„Schon wieder?“
„Ich will eben glänzen für meine Tante.“
„Dann beeil dich.“
Ich ging ins Bad und duschte. Als ich wieder ins Schlafzimmer kam, hatte Gloria bereits ihr Kleid angezogen. Sie sah einfach nur wundervoll aus. Ich würde neben ihr wie ein billiger Abklatsch von einem gut gekleideten Mann wirken. Trotzdem schlüpfte ich in meinen Anzug, band mir die Krawatte um und besah mich dann im Spiegel. Sah ich gestresst aus? Höchstens ein bisschen.

Morgentod 2

Der liebe Lutz schenkte mir diese Geschichte:

Ruth saß an dem kleinen Schreibplatz in der Ecke ihrer Werkstatt und arbeitete an ihrem Roman. Sie war selbstständige KFZ-Meisterin, denn zur Schriftstellerin hatte das Zutrauen ihres Vaters nicht gereicht. Das meinte zumindest die Therapeutin. Also reparierte sie hauptberuflich anderer Leut’s Autos und schrieb in ihrer Freizeit Geschichten.

Es war Sonntagmorgen, ihr Mann war in der Kirche („Meinst du nicht, es täte dir auch gut, dich der Religion wieder ein klein bisschen mehr zu öffnen?“) und die Kinder sahen fern: Ruth hatte Zeit für sich und ihr Hobby. Gerade nahm sie ihren neuen Füller zur Hand, um eine Szene über die Mutter ihrer Hauptfigur zu schreiben, da hörte sie hinter sich eine sonore Stimme: „Wann lässt du endlich diese Kinkerlitzchen?“

Ruth war augenblicklich wieder das sechsjährige Mädchen, das sie nie mehr hatte sein wollen, trug ein nettes Kleidchen, Spängchen im Haar und rannte freudestrahlend auf ihn zu, den sie wie nichts auf der Welt anhimmelte.

Ruth war aber augenscheinlich eine erwachsene Frau, die ihrer Leidenschaft nachging, in der sie hoffte, das zu finden, was der Alltag ihr versagte.

Leider ist es so, dass das Wenigste im Leben sich logisch erklären lässt und vor allem ein Mord erscheint Außenstehenden oft als ein unverhältnismäßiger Ausweg aus einer mittelmäßig verzwickten Situation.

Ruth steckte ihrem Vater den Füller tief ins Auge, wie sie es einmal im Kino gesehen hatte, obwohl ein einfaches „Lass mich endlich in Ruhe“ wahrscheinlich genügt hätte.

Morgentod – 1

Ich startete unlängst ein kleines Spiel, bei dem ich Bekannte und Verwandte und solche, die es gerne werden möchten, bat, eine Geschichte (vom Umfang her nicht länger als 2000 Anschläge) zu schreiben. Die einzigen Vorgaben seien:
Titel: „Morgentod“
Protagonistin: Ruth, eine Automechanikerin
Handlung: Ein Mann stirbt

Hier ist nun meine Version der Geschichte. Etwaige Einsendungen veröffentliche ich gerne auf meiner Homepage:

Bei einem Automotor hätte Ruth gewusst, was zu gewesen wäre. Welches Ventil neu einzustellen wäre, welches Kabel sich gelockert haben könnte, welche Leitung leck sein könnte. Meistens half es auch schon, wenn man dem Metallklotz einfach eins mit dem 19er-Schlüssel überzog. Ruth stellte sich die Motoren der alten Karren, die sie in Waldemars Werkstatt reparierte, manchmal als alte, dickbäuchige Kerle vor, denen man nur mal ordentlich in den Hintern treten musste, damit sie wieder funktionierten, und endlich lernten, den Müll runter zu tragen. Natürlich versuchte sie es immer erst einmal mit Liebe, indem sie dem Klang des Motors lauschte. Meistens konnte sie so schon erkennen, welche der vier Zylinderkopfdichtungen durchgebrannt war.
Doch in jedem Fall wusste Ruth immer, was zu tun ist.
Anders verhielt es sich beim Menschen. Was sollte man tun, wenn der eigene Freund morgens beim Frühstück mitten im Satz innehielt, nach vorne klappte und mit dem Gesicht voll auf dem Salamibrötchen landete?
Ruth war sofort aufgesprungen und hatte versucht, den Notruf zu erreichen, doch es gab Momente im Leben, in denen sich einfach alles im Universum gegen einen verschwor, denn natürlich war der Akku ihres Smartphones leer und das Ladekabel nirgends zu finden. Und selbstverständlich hatte Björn vor einem Monat den Festnetzanschluss gekündigt, weil sie dringend Geld sparen mussten und keiner von ihnen auf das Netflix-Abonnement hatte verzichten wollen. Und wie es der Zufall wollte, waren alle Nachbarn im Haus bereits auf dem Weg zur Arbeit.
Also tat Ruth das einzige, was ihr einfiel: Sie holte aus der Abstellkammer den 19er-Schlüssel und …

Das Geschäft mit der Hoffnung

Passend zu Ostern gibt es eine Geschichte über Gott. Wahrscheinlich ist sie theologisch nicht sonderlich durchdacht. Vielmehr geht sie mal wieder auf eine Titelvorgabe durch den lieben Lutz zurück. (Buchupdate: Die unlektorierte Fassung Nr. 1 ist jetzt zu 36 % überarbeitet. Es geht voran.)

Jeden Tag kamen sie in Scharen zu ihm. All die Mühseligen und Beladenen, all die kleinen Kinder mit ihren kranken Katzenbabys und all die Menschen ohne Essen und Trinken. Jeden Tag schrien sie zu ihm hinauf, jeder in seiner Sprache. Doch Gott wollte das alles nicht mehr hören. Schon lange nicht mehr. Er hatte sich noch nie als den gesehen, den die Menschen in ihm sahen: Einen alten Opa, zu dem man kommt, wenn es einem nicht gut geht und der einem ein Lutschbonbon gibt, damit man wieder lächelt.
Gott sah sich vielmehr als Beobachter. Nicht nur von außen, sondern auch von innen. Schließlich war er ja mehrere Male auf die Erde gegangen und hatte als Mensch gelebt. Dabei hatte er ihnen doch gezeigt, dass sie sich selbst helfen konnten, wenn sie auf einander achteten. Doch irgendwie war der Teil seiner „Botschaft“, wie manche Leute gerne sagten, verloren gegangen.
Stattdessen kamen sie nach wie vor in Scharen.
Gott wollte sich schon griesgrämig von der Welt, die er erschaffen hatte, abwenden, als ihm die rettende Idee kam: Das Stichwort lautete Hoffnung. Er würde die Menschen hoffen lassen. Und zwar alle Menschen, auch diejenigen die schon gelebt hatten. Hoffnung würde sich für die Menschen anfühlen wie eine sanfte Hand, die sie über die Wange streichelt.
Jetzt konnte der Hungernde hoffen, er würde gesättigt. Der trauernde konnte auf ein Wiedersehen in einer anderen Welt hoffen. Der Arme konnte hoffen, jemand gäbe ihm Geld. Und Gott hatte endlich seine Ruhe. Seit Äonen mal wieder Zeit für sich, kein Klingeln im Ohr, keine Probleme.
Bis es an der Tür klingelte. Gott machte neugierig auf, da er keinerlei Besuch erwartete. Draußen stand Luzifer, den Mantel nass vom strömenden Regen.
„Darf ich reinkommen, Gott?“, fragte er und Gott ließ ihn ein.
„Was willst du? Hast du in deiner Welt nichts mehr zu tun?“
„Nein, nein, das ist es nicht“, versicherte Satan. „Ich wollte mich nur bei dir bedanken.“
„Wofür?“
„Na, für die tolle Idee mit der Hoffnung. Ich habe sie natürlich direkt in meiner Welt ausprobiert und du wirst nicht glauben, was das alles verändert hat.“
Satan setzte sich auf das Ledersofa und sah zum Fenster raus. Unten auf der Erde sah er mit seinen Adleraugen einen kleinen Lichtblitz.
„Da“, rief er erfreut, „jetzt fangen sie bei dir auch an!“
Gott ging zum Fenster und starrte angestrengt hinaus.
„Womit fangen sie an?“
Doch, noch ehe er die Frage zu Ende ausgesprochen hatte, wusste er, was Satan meinte. Er sah Explosionen und wild schreiende Mütter mit ihren Kindern davonlaufen.
„Was zum Teufel…“, presste er heraus und verstummte, da er an seinen Gast dachte. „Oh, entschuldige Bitte. Ich wollte deinen Namen nicht missbrauchen.“
„Schon gut. Aber siehst du, was ich meine? Es gibt doch tatsächlich Spinner dort unten, die in anderen Spinnern die Hoffnung wecken, sie kämen in eine Art Paradies, wenn sie sich und andere Menschen in die Luft jagen.“
„Das ist nicht gut.“ Mehr sagte Gott nicht.
„Das ist doch fantastisch!“, jubelte Satan und schlug sich vor Lachen mit den Händen auf die Schenkel. „Stell dir doch nur mal vor, wie die sich fühlen, wenn sie merken, dass sie sich umsonst in die Luft gesprengt haben. Zum Brüllen ist das!“
„Na, deinen Humor möchte ich haben. Sie werden gar nix fühlen, weil sie dann ja tot sind. Aber ihre Hinterbliebenen werden Trauer und Schmerz fühlen. Und dann kommen sie doch wieder zu mir. Das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen.“
„Tja, es ist gar nicht so einfach, sich um eine Welt zu kümmern, nicht wahr Gott?“
„Da hast du recht, Satan.“ Gott stand immer noch am Fenster und jetzt liefen ihm Tränen über die Wangen. „Aber ich habe mich an diese Welt gewöhnt. Ich will nicht, dass sie vor die Hunde geht. Ich denke, ich krieg das wieder hin, wenn ich mich mal ernsthaft um die Welt kümmere.“
Gott steigerte sich aus seiner Traurigkeit in einen Tatendrang hinein. Er spürte ein Kribbeln am ganzen Körper und ahnte nicht, dass es Hoffnung war.

Ende

Nicht vergessen!

Totaler Nonsense. Blitzeinschlag in mein Autorenhirn.

Rumms. Oskar landete ungebremst auf dem Hintern. Er bildete sich ein, spüren zu können, wie – begleitet vom Ticken der Uhr – auf seiner Stirn ein großes Horn wuchs. Vorsichtig befühlte er mit der Hand seinen Kopf. Wenigstens spürte er kein Blut, soviel war ihm erspart geblieben. Stattdessen glaubte er, einen Abdruck der Verzierungen der großen alten Standuhr zu ertasten.
Die Uhr war ein Geschenk seines Großvaters gewesen und stand seit Jahren links an der Wand, gegenüber der Badezimmertür. Nur diese Nacht befand sie sich auf einmal mitten im Gang. Der Hausgeist hatte die Uhr umgestellt.

Ende

Mut und Torte

Zuletzt vergaß ich vor lauter Corona-Aufregung tatsächlich, einen Text online zu stellen. Momentan komme ich vor lauter Lesen kaum zum Schreiben. Irgendwann zwischen Homeschooling und Waldspaziergang entstand der folgende Text. Viel Spaß beim Lesen. Bleib zuhause und gesund!

Es war kein Paukenschlag, der Richard Mayer vollends aus dem Gleichgewicht brachte, auch keine Weltbewegende Nachricht über irgendeine neue globale Krise, ja nicht einmal eine persönliche Nachricht, etwa über den plötzlichen Tod eines guten Freundes, sondern lediglich ein lilafarbener Postitzettel, der da an seinem Monitor klebte. Ein Postit mit der Aufschrift „BITTE INS BÜRO VOM CHEF KOMMEN“.
Mayer war schon des Öfteren zum Chef zitiert worden. Und jedes einzelne Mal hatte er den Schwall wütender Worte über sich ergehen lassen. Jedes Mal hatte er sich wieder und wieder sein Mantra aufgesagt, dass einen alles nur abhärte und er gestärkt aus jeder Krise hervorgehen würde.
Mayer war geübt darin, sich abzuhärten. Strampelte er sich doch schon seit Jahren ab, wie ein Ertrinkender im Ozean. Tag für Tag arbeitete er Berge von Akten ab, und Tag für Tag türmten sich neue Berge vor ihm auf, entstanden durch die Plattentektonik der Abteilung K – Q, und Mayer nahm auch diese Berge in Angriff. Zum Ausgleich ging er jeden Tag eine Stunde schwimmen, forderte seinen Körper, der doch all diese Anstrengungen zu bewältigen hatte. Abend für Abend legte Mayer sich mit einer Schmerztablette und seinen Vitaminpräparaten ins Bett, las einige Kapitel in einem Buch und schloss um Punkt elf Uhr die Augen, nur um am nächsten Morgen erneut in das Mühlrad einzutreten.
Mayer stellte sich sein Leben manchmal vor wie einen endlosen Korridor, von dem unzählige Türen abzweigten in andere Leben. Doch alle Türen waren verschlossen. Manchmal klopfte er an eine der Türen an, doch immer eilte er weiter, im weiter, so dass er nie mitbekam, ob jemand öffnete.
Heute Morgen hatte der Korridor in Flammen gestanden. Schon auf dem Weg ins Badezimmer hatte Mayer die vielen ungelesenen Nachrichten auf seinem Smartphone gesehen. Während des Frühstücks hatte er sie der Reihe nach beantwortet, doch noch ehe er das Haus verlassen hatte, waren schon drei neue Nachrichten eingegangen. Als er in der Firma angekommen war, waren es bereits 27. Mayer schaltete seinen Rechner ein und las jede einzelne Nachricht durch. Nachdem er alle beantwortet hatte, ging er zum Kaffeeautomaten. Auf dem Weg dorthin sah er bereits den Stapel an Akten und Ordnern, den irgendjemand in der Firma auf ihn abgewälzt hatte. Mayer stöhnte geräuschvoll auf. Er dachte, wie schön es wäre, einfach einmal für eine Woche nichts zu tun. Einfach einmal die Füße hochzulegen und der Stille zu lauschen. Doch dann kam ihm in den Sinn, dass sich in dieser Woche ein Aktenberg an seinem Schreibtisch auftürmen würde, so hoch wie der Himalaya. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als immer weiter zu strampeln. Akten, Schwimmen, Schmerztablette. Jeden Tag den Korridor entlang laufen und sich gelegentlich ausmalen, was sich hinter der einen oder anderen Tür verbergen mochte.
Als Mayer vom Kaffeeautomaten zurückkam, fand er besagten Klebezettel vor. Sofort wurden seine Knie weich. Er stellte den Kaffee ab und ließ sich auf den rückenschonenden Bürostuhl fallen. Es war nie gut, wenn man vom Chef gerufen wurde. Mayer nahm den Zettel und betrachtete ihn genauer. Die Handschrift musste die der Chefsekretärin sein. Eine Zwanzigjährige, die der alte Franke nur eingestellt hatte, damit er ihr auf den knackigen Arsch starren konnte. Mayer atmete noch einmal tief durch, dann stand er auf. Es half ja doch nichts.
Er trottete zum Aufzug und fuhr nach oben in die Chefetage. Auf dem Weg dort hin ertappte er sich dabei, wie er die leise Melodie der Fahrstuhlmusik mitsummte. Sofort hielt er inne. Er musste sich jetzt konzentrieren. Was konnte Franke bloß von ihm wollen? Erledigte er seine Arbeit nicht ordentlich genug? Hatte sich ein Kunde über ihn beschwert? Oder vielleicht eine Mitarbeiterin? Sollte er gar gefeuert werden? Das Klingeln des Aufzugs riss ihn aus seinen Gedanken. Die Tür öffnete sich. Er war da. Nur noch wenige Meter trennten ihn von Frankes Büro.
Mayer ging mit vorsichtigen Schritten auf die Bürotür zu. Der Vorraum war leer, die Sekretärin nirgends zu sehen. Am Rand seines Gesichtsfeldes verschwamm die Einrichtung. Mayer glaubte jetzt unzählige Türen zu erkennen. Er war in seinem langen Korridor gefangen. Hinter jeder der Türen wartete ein anderes Leben. Was sich wohl hinter dieser Tür verbarg? Oder hinter jener? Mayer wollte gerne anklopfen und nachsehen, doch am Ende des Korridors wartete Frankes Büro, in dem ihm mit Sicherheit verkündet würde, er sei den steigenden Anforderungen nicht mehr gewachsen, sei zu alt, man müsse ihn leider entlassen.
Dann wäre er das erste Mal seit Jahren ohne Job. Ohne Druck. Frei.
Er wäre frei. Dann könnte er endlich hinter all die Türen sehen, das Leben leben, aufhören zu strampeln und endlich Boden unter den Füßen spüren. Er könnte…
Mayer hatte die Tür erreicht. Er klopfte an und trat ein.
Ah, schön Sie endlich zusehen, setzen Sie sich doch, wie geht es Ihnen heute…
Er wäre frei. Könnte Leben.
Wir sind sehr zufrieden mit Ihrer Arbeit und möchten Ihnen gerne einen Posten in leitender Funktion anbieten, damit sie sich noch mehr in die Firma einbringen können.
Noch mehr einbringen, noch mehr Akten wälzen, noch mehr strampeln.
Mayer hatte keine Lust mehr auf all den Trott, die Routine, das allmähliche Dahinvegetieren. Er wollte endlich FREI SEIN. Wieso ließen sie ihn nur nicht? Musste er etwa darum betteln? Er würde es tun, er würde betteln, wenn sie ihn dann nur endlich gehen ließen. Er würde…
Auf dem Schreibtisch stand ein Teller mit einem Stück Sahnetorte. Ganz oben auf der Torte thronte eine Kirsche.
Wäre das nicht die Gelegenheit?
Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr wir uns darüber freuen, Sie hier oben bei uns begrüßen zu…
Mayer nahm die Torte und klatschte sie Franke ins Gesicht. Danach lief er lachend aus dem Büro. Draußen gab er der jungen Sekretärin einen Kuss auf den rotgeschminkten Mund. Dann wandte er sich um und rannte den Flur entlang. Unterwegs klopfte er an jede Tür. Klopfte und lauschte. Klopfte und lauschte und lebte sein Leben.

Ende

Ein Geheimnis kommt ans Licht

Letztens nahm ich an einem Schreibwettbewerb teil, den ich leider nicht gewinnen konnte, da ich aus unerfindlichen Gründen doch nicht so wirklich teilgenommen habe. Möglicherweise fehlte es mir einfach an der nötigen Intelligenz, meine Geschichte parallel auf zwei Portalen hochzuladen. Die Vorgabe war: Ein Geheimnis kommt ans Licht in weniger als 2500 Satzzeichen (inklusive Leerzeichen). Bitte sehr:

Kennen Sie das Gefühl der Erleichterung, das man verspürt, wenn man bei einer Lüge ertappt wird? Wenn die Angst von einem abfällt, man könne erwischt werden? Nur, um sogleich durch die absurde Angst ersetzt zu werden, der Belogene könnte einen bestrafen.
Und irgendwo unter all dieser Angst huscht eine Freude durch die Schatten. Die Freude darüber, endlich von der Last des Lügengebildes befreit zu sein. Die Freude darüber, dass ein lange gehegter Wunsch nun endlich in Erfüllung gegangen ist: Der heimliche Wunsch, alles würde irgendwann auffliegen, ans Licht kommen.
All das habe ich bei meiner Frau gesehen. Wie die Hoffnung auf Gnade mit der Gewissheit des Todes gekämpft hat. War da ein Aufflackern von Erleichterung in ihren Augen, nun endlich zu ihrer Affäre stehen zu können? Und dann die Enttäuschung, als sie realisiert hat, was das bedeuten würde: Mit durchlöcherter Stirn im Hinterhof zu liegen.
Was wird meine Frau gedacht haben? Hat sie beim Auftreffen des Schlagbolzens auf die Patrone noch schnell ein Gebet gesprochen zu einem Gott, der sie nicht hört? Ist ihre Hoffnung, ich würde sie leben lassen, bei der Explosion der Treibladung geplatzt wie eine Seifenblase?
Was hat sie zuletzt verspürt? War es die Angst vor dem Tod, oder die Erleichterung darüber, dass nun alles vorbei ist, oder gar eine völlig irrationale Freude auf ein Leben nach dem Tod? Wie mag es sich für sie angefühlt haben, als die Welt um sie herum langsam erlosch? Ihr lebloser Körper verschwand im Dunkel des Vergessens, zwei Meter unter der Grasnarbe.
Und all die Jahre wuchs in mir die Angst, jemand könnte doch noch ihre Leiche finden und mich zur Rechenschaft ziehen. Nachts, erwachten dann Ungeheuer der Furcht, die durch meine Träume liefen und wieder und wieder riefen, alles käme ans Licht, die beiden Tode seien nicht unbemerkt geblieben.
Bei jedem Klingeln des Telefons ließ mich diese Angst zusammenzucken. Jedes Klopfen an der Tür sorgte dafür, dass mein Herzschlag für einen Moment aussetzte.
Letztlich überwog bei meiner Verhaftung aber doch die Freude. Diese völlig irrationale, unkontrollierte Freude darüber, ertappt zu sein.

Ende

Verwandlung

Neulich dachte ich: „Hey, du hast noch nie etwas über einen Vampir geschrieben.“ Also habe ich mal etwas über einen Vampir geschrieben. Bitte sehr.

Meiner Meinung nach gibt es kaum etwas, das das Leben derart aus den Fugen geraten lässt, wie der Anfang und das Ende des Lebens: Eine Geburt, die Glück und Verantwortung gleichermaßen mit sich bringt, und der Tod, der wie eine unaufhaltsame Macht eine Schneise der Verwüstung durch die Leben all derer zieht, die dem Verstorbenen nahestehen.
Was mich betrifft, wurde mein Leben von letzterem getroffen. Nur, dass sich in meinem Falle der Übergang vom Leben in den Tod quälend langsam vollzieht. Unweigerlich und ohne Hoffnung auf ein gutes Ende. Wobei: Ist es nicht immer so? Ist das nicht der natürliche Lauf der Dinge? Wir nennen diesen Prozess das Leben. Ich nenne ihn Verwandlung.
Die Uhr tickt unglaublich laut. Ihre Zahnräder rattern ohne Unterlass. Die Zeiger drehen sich unaufhaltsam im Kreis. Eines Tages werden auch sie still stehen.
Ich hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt die alte Uhr durch eine Digitaluhr zu ersetzen. Jetzt sehe ich darin keinen Sinn mehr. Ich sitze reglos auf dem Sofa und starre die Uhr an. Die Wunde an meinem Hals pocht unter dem Kühlkissen. Kondenswasser hat sich auf der Plastikoberfläche des Pads gebildet und läuft langsam an meinem Hals runter. In fünf Minuten werde ich mir ein neues Kühlpad aus dem Eisfach holen. Fünf Minuten, in denen ich dem Ticken der Zeiger lauschen muss. Fünf quälend lange Minuten, in denen ich wieder und wieder die letzte Nacht durchlebe.
Wieso rennt der Mensch wissentlich in sein Verderben? Wieso fassen Kinder auf heiße Herdplatten, obwohl ihre Eltern sie wieder und wieder gewarnt haben? Wieso bin ich Schutzlos den Weg durch den Hafen gegangen, wo ich doch all die Geschichten kannte. Seit der Grundschule wurden wir immer wieder vor ihnen gewarnt. Vor ihnen. Wie sich das anhört. Immer noch traue ich mich nicht, sie beim Namen zu nennen, wo ich doch bald einer von ihnen sein werde.
Lange habe ich versucht, es zu leugnen, doch ich habe die ganze Zeit gewusst, dass sich außer dem Pochen der Wunde und dem Schwindelgefühl noch ein Gefühl bei mir eingestellt hat. Anfangs dachte ich noch, ich hätte mich zu allem Überfluss erkältet. Doch mit der Zeit wurde mir klar, dass das Kratzen in meinem Hals eine andere Ursache hat. Ich habe bereits drei Flaschen Wasser getrunken, und verspüre dennoch Durst. Durst nach… Ich weigere mich, daran zu denken.
Ich stehe auf und wechsle das Kühlkissen. In der Küche trinke ich ein weiteres Glas Wasser. Mit jedem Schluck wird das Kratzen in meinem Hals schlimmer, wird der Durst größer, die Gewissheit, was ich brauche, klarer.
Ich setze mich wieder auf mein Sofa. Eine Stunde werde ich noch aushalten. Eine weitere Umdrehung des großen Zeigers. Und wenn ich Glück habe und stark bin, halte ich danach noch eine weitere Stunde aus.
Ich schließe die Augen. Sofort höre ich die Nachbarin in der Wohnung nebenan lachen.
Nur noch eine Stunde, und dann vielleicht noch eine.
Es kratzt in meinem Hals. Der Durst zieht unergründlich tiefe Furchen in meinen Rachen.
Die Nachbarin lacht.
Nur noch eine…
Ich stehe auf und gehe zur Tür.

Ende

Verschlafen

Passend zum Titel erscheint der heutige Text leicht verspätet. Ich wünsche euch trotzdem viel Spaß beim Lesen.

Die Leute sagen, unseres sei das verschlafenste Nest der Welt. Sie sagen das mit einer solchen Verachtung, dass man sich fragen muss, was ihnen ihr Leben in der schnellen Welt dort draußen, mit all den Burnouts, der Arbeitslosigkeit und dem ganzen Gesindel, gibt. Was bringt einem ein Smartphone mit bestem Netzempfang, wenn es einen doch nur wieder und wieder daran erinnert, dass man dem Leben nicht genügen kann? Niemand, der von draußen je bei uns zu Besuch war und verzweifelt nach einem einzigen Balken Empfang gesucht hat, konnte mir diese Frage bisher befriedigend beantworten.
Was einem das Leben in unserem Nest daher beschert – wobei „beschert“ zu negativ klingt, es müsste heißen „darreicht“ – was es einem also darreicht, ist frisches Brot vom Bäcker, gebacken aus Mehl vom Müller, frische Milch von glücklichen Kühen vom Bauer Reimund oder vom Tillmann, nette Nachbarn und vor allem Ruhe. Unendliche Ruhe.
Die meisten denken, die Ruhe entstünde, weil es bei uns keine Kinder gibt. Doch die gibt es. Sie gehen entweder in den Kindergarten neben der Kirche oder werden in der Schule vom alten Pichler unterrichtet. Es kommen zwar noch zwei junge Lehrerinnen von außerhalb, doch der Pichler hat die beiden gut im Griff, so dass sie unseren Buben und Mädeln nichts beibringen, was sie nicht wissen brauchen. Wer will schon Französisch lernen, wenn er doch nie in die Welt hinaus gehen möchte?
Die Ruhe im Dorf kommt woanders her. Wenn man tagsüber durch die Straßen schlendert, um vielleicht im Kaufladen Obst zu holen, hört man ein Brummen und kein Gerede, da jeder bei der Arbeit ist. Denn bei uns gibt es niemanden, der mal eben nichts zu tun hätte. Jeder hat sein Tagewerk zu verrichten. Manche freilich außerhalb, da die Näherei neben der alten Schmiede nicht für jeden einen Arbeitsplatz bietet, doch von halb acht bis nachmittags um fünf geht jeder seiner Pflicht nach.
Die Ruhe spürt man auch im Wald, der uns umgibt. Hier zwitschern noch die Vöglein, springen die Rehe durchs Unterholz, denn hier gibt es nichts als Natur. Kein Müll liegt abscheulich auf der Erde rum und vergiftet die Tiere oder stört den Blick des Wanderers. Kein Windrad verschandelt die Umwelt mit seiner Monstrosität. Natürlich gab es einst Bestrebungen solch ein Ding zu errichten, um die Gemeinde mit Strom zu versorgen, doch der beherzte Protest der Bürger hat dafür gesorgt, dass diese Sünde am Landschaftsbild die Nachbargemeinde begnügt.
„Was“, so fragen die Leute von außerhalb, „ist denn das Besondre an euch Dörflern?“
Menschen, die solche Fragen stellen, erzähle ich von den allsonntäglichen Fußballspielen unserer Mannschaft. Wenn die Vereine der Nachbargemeinden zu uns auf den Sportplatz kommen, ist das ganze Dorf versammelt. Man isst Rindswurst – stets steht der Tillmann am Grill und kann auf Nachfrage den Namen der Kuh nennen, die man soeben verspeist -, trinkt Bier und auf dem Platz wird gekämpft, bis der letzte Mann nicht mehr laufen kann. Hier sind wir unter uns, denn die Zuschauer der Gastmannschaften finden meist den Weg nicht, mit ihren teuren Navigationscomputern und Smartphones.
Manchmal habe ich Angst, es könne sich etwas ändern. Etwa, wenn mal wieder einer von der Telefongesellschaft kommt, um einen Standort für einen dieser Sendemasten zu finden. Dann ruht alle Hoffnung auf dem Förster. Siegbert macht dann nämlich die Geländebegehung mit dem Herrn. Der ist anfangs immer ganz angetan von der schönen Natur und findet es eigentlich auch schade, dass hier bald eines dieser Dinger aufgebaut werden soll. Doch spätestens, wenn Siegbert im die alte Fledermaushöhle gezeigt hat, ist wieder Ruhe. Dann muss nur noch jemand den Wagen des Heinis entsorgen, falls man nach ihm sucht. Doch, sollte jemand kommen und Nachforschungen anstellen, wäre noch genug Platz bei den Fledermäusen.

Ende

Das gestrichene Kapitel

Ich wage einmal etwas: Mein neuestes Machwerk liegt zur Zeit noch bei diversen Testlesern und wartet noch gespannt darauf, ein weiteres Mal überarbeitet zu werden. Der Text für heute ist ein Auszug aus einem Kapitel, dass es leider nicht über die erste Überarbeitung hinaus geschafft hat (sage und schreibe 4348 Wörter). Viel Spaß beim Lesen. Um nichts vorweg zu nehmen, habe ich mal spontan ein paar Namen geändert.

Oskar hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Jeden Morgen (war es morgens, oder doch eher abends) kam einer der Männer und gab ihm eine Spritze in den Arm. Danach waren alle Schmerzen weg. Die Welt schwand dahin und Oskar löste sich langsam auf. Wenn er erwachte, musste er sich meist übergeben. Anfangs kam nur ekliger Schleim aus seinem Mund. Später gesellte sich auch Blut hinzu. Die Tage zerflossen zu einem Brei aus Übelkeit, Spritzen und trockenem Brot dass einer der Kerle Oskar in den Mund steckte. Die drei Männer redeten nie, und nach einiger Zeit glaubte Oskar nicht mehr, dass sie wirklich da waren. Er hatte sie sich nur eingebildet, wie er sich so vieles in letzter Zeit eingebildet hatte. Die Wachträume im Koma (Dubois Stimme!), sein Leben auf dem Hof, seinen neuen Freund Sven und seine Erfolge beim Schreiben. „All das hat es nie gegeben“, dachte Oskar. Und dann fiel er.
Oskar stürzte in einen Traum und es fühlte sich an, wie damals, als er von der Brücke gesprungen war. Oskar hatte es einfach nicht mehr ertragen, ein nichts zu sein. Gefangen in einem Leben, dass er nicht mehr leben wollte. Ohne Ziele, die er erreichen konnte. Er war früh morgens losgegangen und ziellos durch die Gegend spaziert, bis er gegen Abend an der Bavariabrücke ankam. „Soll ich hier sterben?“, hatte er sich gefragt. Er hatte die Radlkoferstraße zur Hälfte überquert und war dann auf die Brücke gelaufen. Dort hatte Oskar sich auf das Geländer gestellt, die Augen geschlossen („Nicht lange nachdenken!“) und war gesprungen.
Aus diesem Sturz erwachte er jetzt. Er schrie und schrie. Als er die Augen aufriss, durchzuckte ihn ein Schmerz. Über ihm war nichts als die kahle Decke. Oskar drehte sich zur Seite und erbrach sich neben sein Bett. Als er wieder aufblickte, sah er, dass einer der Männer immer noch da war. Er saß stumm auf einem Klappstuhl. Jetzt nahm er eine Telefon aus seiner Tasche und Oskar fiel zum ersten Mal die seltsame Kleidung auf, die der Kerl trug. Er war von Kopf bis Fuß in einen schwarzen Plastikanzug gepackt. („Sie wollen keine Spuren hinterlassen du Superhirn!“) Der Bullige wählte eine Nummer und wartete.
„Ich denke, wir können ihn jetzt bringen.“
Stille. Der Bullige lauschte den Anweisungen. (Er lauschte Dubois Anweisungen.)
„Ja, wir laden ihn vor dem Hof aus.“
Wieder Stille.
„Hier ist alles klar. Wir haben keine Spuren hinterlassen.“
Wieder lauschte der Bullige dem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung.
„Okay, wir machen dann später hier Klarschiff.“
Er legte auf und ging auf Oskar zu.

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »

© 2024 David schreibt

Theme von Anders NorénHoch ↑