Liebe Leserin, lieber Leser,
lange Zeit war es still auf dieser Webseite. Da aber nun aber bald – vielleicht sogar noch dieses Jahr – mein neues Buch erscheint, dachte ich mir, ich veröffentliche mal wieder etwas.
Ein guter Freund meinerseits – Mr Francis Rickenbacker – erlebte letztens eine schöne Feier. Von dieser Feier handelt die nun folgende Geschichte. Jede Woche gibt’s ein neues Kapitel. Los geht’s…

Magnus stiefelte über den Parkplatz zu seinem Subaru. Er öffnete den Kofferraum und schob eine Decke zur Seite. Ich begann allmählich zu frieren. Die Wirkung des Alkohols ließ nach, so dass mein Körper wieder in der Lage zu sein schien, die Kälte der Nacht zu spüren. Außerdem musste ich ganz dringend zur Toilette.
„Was genau wollt ihr mir zeigen?“, fragte ich Tom.
„Hast du schon einmal geschossen?“, fragte Tom zurück.
Ich liebe ja Leute, die nicht auf meine Fragen eingehen.
„Nicht mehr, seit ich damals den Hahn von Onkel Rainer mit dem Luftgewehr erlegt habe“, sagte ich.
Ich hatte überhaupt keinen Onkel Rainer und auf Hähne hatte ich auch noch nie geschossen. Tom ging nicht auf meine plumpe Lüge ein.
„Magnus hat ein Paar Walther P99 dabei.“
„Ein Paar?“, fragte ich entsetzt.
„Japp. Zwei Stück. Gabs im Doppelpack.“
Ich wollte plötzlich noch dringender nach drinnen. Ich hatte keine Lust mich in angetrunkenem Zustand mit einem Waffennarr einzulassen.
„Ich dachte, wir schießen mal auf ein paar Blumentöpfe“, schlug Tom vor.
„Ich weiß nicht“, sagte ich nur.
„Ach komm schon. Das haben wir in Kabul andauernd gemacht“, sagte Tom.
Tom war für ganze zwei Jahre in Afghanistan stationiert. Alles, was er von dort mitgebracht hatte, waren eine Narbe über dem linken Auge und ein paar seltsame Angewohnheiten – und Magnus.
„War Magnus etwa auch dort?“, fragte ich, um Zeit zu gewinnen.
„Japp. Gleiches Lager.“
„Ich dachte, du wärst …“
„Däne. Ich bin Däne. Aber auch wir Dänen haben dort gekämpft.“
„Und da habt ihr euch kennengelernt?“
„Japp. Tom, Luca und ich.“
„Wer ist Luca?“
„Luca war ein Kamerad“, sagte Tom. Seine Stimme klang auf einmal trocken.
„Ist er gefallen?“
„Lass uns nicht darüber reden.“
Tom packte mich am Arm.
„Komm. Wir gehen in den Wald und schießen auf ein paar Blumentöpfe.“
Tom hatte mein Interesse geweckt. Und was konnte schon passieren? Wir würden ein paar Mal in die Nacht hinausschießen und dann wieder zurück zum Schloss gehen.
Wir gingen los. Magnus hatte die Kiste mit den Pistolen unten den Arm geklemmt. In der freien Hand trug er eine Dose Bier. Tom trug tatsächlich vier kleine Terrakottatöpfe. Wir brauchten etwa fünf Minuten, um den Wald zu erreichen. Immer wieder kam mir in den Sinn, dass das Ganze eine seltendämliche Idee wäre. Doch die Neugierde war zu groß.
Als wir den Waldrand erreichten, stellte Tom die Töpfe auf einen Zaun. Dann liefen wir in einem Bogen zurück, bis wir die Töpfe gerade noch so sehen konnten. Wir standen jetzt etwa zwanzig Meter vom Zaun entfernt.
„Auf diese Entfernung treffe ich doch nie“, sagte ich.
„Probieren wir es doch erst einmal“, sagte Magnus, zerdrückte die nun leere Bierdose mit der Hand und warf sie auf den Boden.
Er öffnete die Kiste und nahm eine Waffe heraus.
„Hier, nimm die. Aber ziele damit bloß nicht auf mich oder Tom, die Waffe hat nämlich keine Sicherung.“
Ich nahm die Waffe. Sie lag schwer in meiner Hand. Ihr Griff fühlte sich kühl an. Mein Herz raste.
„Fass sie ab besten mit beiden Händen.“
Tom stellte sich neben mich und zeigte mir an der zweiten Waffe, wie ich die Pistole zu halten hatte. Ich richtete die Waffe nach vorne aus.
„Zielen und dann abdrücken.“
Mein Herz pochte jetzt wild wie der knatternde Motor von Susis Moped. Schweiß trat auf meine Stirn. Würde ich mir – wie ich es schon einmal in einem Film gesehen hatte – durch den Rückstoß eine blutige Nase holen? Wie sollte ich das Gloria erklären?
Ich nahm den Blumentopf ins Visier und legte meinen Zeigefinger um den Abzug. Dann krümmte ich langsam den Finger. Der erwartete Schuss blieb aus. Kein Knall, kein Rückstoß, nix.
Magnus und Tom brachen in schallendes Gelächter aus.
„Was ist?“, fragte ich verwirrt. Mein Herz hatte sich immer noch nicht beruhigt.
„Wie wäre es, wenn du die Waffe lädst, bevor du schießt?“, fragte Magnus und reichte mir eine kleine graue Schachtel.
Ich drehte mich zu ihm um – die Waffe in der Hand – und wollte gerade nach der Schachtel greifen, als er mich scharf anfuhr: „Und ziele nie wieder mit einer Waffe auf mich! Verstanden?“
Ich nickte nur stumm, leicht verwirrt.
„Selbst, wenn die Waffe nicht geladen ist. Man kann nie wissen.“
Wieder nickte ich.
„Jetzt lass ihn halt in Ruhe“, sagte Tom. „Er konnte es doch nicht wissen.“
„Es tut mir leid“, sagte ich nur.
Ich hatte die Lust aufs Schießen verloren.
„Schon in Ordnung“, sagte Magnus. „Drück mal da auf den Knopf.“
Ich betätigte den Knopf und das Magazin fiel aus dem Griff der Waffe heraus.
„Und jetzt steck die Patronen einzeln dort rein.“
Mit zittrigen Fingern nahm ich die Patronen und schob sie in die Öffnung des Magazins. Mit jeder Patrone beruhigte sich meine Hand etwas mehr.
„Sehr gut. Und jetzt schießt du wirklich auf den Blumentopf.“
Ich drehte mich in Richtung des Waldes und hob die Waffe. Wieder begann mein Herz zu rasen. Ganz langsam betätigte ich den Abzug.
Der Schuss war so ohrenbetäubend laut, dass ich vor Schreck beinahe die Waffe fallen gelassen hätte.
Magnus fasste mich am Arm und nahm mir langsam die Waffe aus der Hand.
„Ich glaube, ich möchte jetzt zurückgehen“, sagte ich.
„Ist vielleicht auch besser so“, sagte Magnus. „Du wirkst etwas nervös.“
„Ich kümmere mich nur noch schnell um die Blumentöpfe“, sagte Tom und hob seine Waffe. Er gab vier schnelle Schüsse ab. Bei jedem Knall zuckte ich erneut zusammen. Ich war mir sicher, dass ich nie wieder etwas hören würde, doch ich vernahm nach jedem Schuss ein leises Klirren. Tom hatte viermal ins Schwarze getroffen.
Wir verstauten die Waffen in den Kisten und gingen zurück zum Schloss. Ich bedankte mich bei Tom und Magnus für das abenteuerliche Erlebnis und entschuldigte mich noch einmal für mein Ungeschick und meinen Fauxpas mit der Waffe.
„Kein Problem“, sagte Magnus. „Das Ding war ja nachweislich nicht geladen.“
Ich ging nach drinnen um Gloria zu suchen, doch ihr Platz war leer. Sophia saß allein vor einem Glas Wein.
„Hast du Gloria gesehen?“, fragte ich.
„Nein“, antwortete Sophia tonlos.
Sie schien immer noch niedergeschlagen wegen ihrer finanziellen Notlage. Doch darum würde ich mich kümmern, wenn ich wieder mein volles Hörvermögen erlangt hätte.
„Ich glaube, sie wollte sich um Getränkenachschub kümmern“, sagte Sophia jetzt.
„Weiß du, wo sie hin gegangen ist?“
„Nach hinten zum Hof.“
„Kannst du mir deinen Schlüssel geben?“, fragte ich.
„Na klar.“
Sophia kramte in ihrer Handtasche und reichte mir ihren Durchgangsschlüssel.
Ich ging nach draußen zum Durchgang. Ich schob den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Dann schob ich den Schlüssel durch das Schloss hindurch. Ich schlüpfte in den dunklen Gang und zog die Tür wieder hinter mir zu. Ich wollte den Schlüssel wieder abziehen, doch er blieb hängen. Ich erinnerte mich daran, dass man die Tür erst wieder abschließen musste. Also drehte ich den Schlüssel um. Dann sah ich sie.
Gloria lag mit vor Entsetzen geweiteten Augen in einer Lache aus Blut. In ihrem Bauch klafften drei Löcher. Das Blut war auf dem weinroten T-Shirt kaum zu sehen. Ich vergaß den Schlüssel und wollte zu Gloria eilen. Doch dann wurde mir schwarz vor Augen und ich sank zusammen.