Vorletzte Woche war Wortwitzwoche. Heraus kam dieser wundervolle Text. Ach ja: Der Titel stammt von Lutz.

Karl lag der Käse noch schwer im Magen. Er hätte die Finger davon lassen sollen, aber wenn er eines aus der Vergangenheit gelernt hatte, dann dass er nichts aus der Vergangenheit lernte. Und so hatte er sich mal wieder den Bauch mit Bergkäse vollgestopft und lag jetzt mit üblen Bauchschmerzen in der Ecke der Stube und wünschte sich nichts mehr als einen Chirurgen, der ihm den Käse operativ entfernte.
Karl gegenüber saß Luis und knapperte an einem Stück Speck. Er war so fett, dass er kaum noch durch die schmalen Ritzen in der Wand passte. Wäre er nicht so behände, er wäre Piet, dem ollen Kater schon mehrfach zum Opfer gefallen.
„Ich will nicht mehr leben“, stöhnte Karl. Er rechnete nicht mit einer Antwort. Die einzige Äußerung, die von Luis zu erwarten war, wäre ein Rülpser gewesen. Umso erstaunter war er, als er dennoch eine Antwort bekam.
„Sag doch sowas nicht. Du weißt nie, wie schnell sich ein solcher Wunsch erfüllt.“
Die stimme kam von der Tür – einem gefährlichen Areal, in dem sich nur die mutigsten aufhielten. Karl drehte sich langsam um. Sein Magen rebellierte bei jeder Bewegung. Er hatte sich die Stimme nicht eingebildet. Dort an der Tür stand tatsächlich jemand. Es war Hank, den alle schon für tot gehalten hatten, da er vor drei Tagen verschwunden war.
„Hank, bist du es?“, fragte Karl. „Du lebst?“
„Auferstanden von den Toten, wie der olle Jesus.“
Hank durchquerte den Raum und setzte sich neben Karl auf den Boden.
„Du siehst aber gar nicht gut aus, mein Freund. Hast du wieder mal zu viel am Käse genascht?“
„Bergkäse“, stöhnte Karl. Mehr als ein Stöhnen brachte er nicht heraus. „Der gottverdammte Bergkäse ist schuld.“
„Nein“, widersprach Hank, „du bist schuld. Du allein. Du lernst es eben nie. Und man sollte nie mehr essen, als man vertragen kann. Sieh dir Luis an.“ Er deutete auf Luis, der mittlerweile den Schlaf des Überfressenen schlief. „Der kennt kein Maß. Willst du so enden, wie er? Dick und rund und glücklich?“
„Ich wäre schon gerne glücklich, aber eben ohne diese Bauchschmerzen.“
Karl fühlte, wie sich ein großer kantiger Brocken Käse seinen Weg aus dem Magen nach oben bahnte. Wenn er jetzt auch noch kotzen musste, könnte er sich auch gleich erschießen lassen.
„Glück wird überbewertet. Momentanes Glück jedenfalls. Stell dir nur vor, du bist jetzt total glücklich, aber im nächsten Moment tot. Was bringt dir dein Glück dann noch?“ Hank sah Karl jetzt tief in die Augen. „Ich denke, man ist im Großen und Ganzen glücklicher, wenn man lange lebt und dafür jeden Tag nur ein bisschen glücklich ist.“
„Das klingt schon irgendwie logisch“, sagte Karl, „doch im Moment würde ich alles dafür geben, wenn diese Bauchschmerzen aufhörten. Wirklich alles. Ich würde mein Leben dafür riskieren.“
„Wirklich? Würdest du wirklich dein Leben dafür riskieren?“, fragte Hank und senkte seine Stimme. „Ich weiß nämlich, wo es die Lösung für dein Problem gibt. Aber dort ist es verdammt gefährlich.“ Er sprach jetzt noch leiser, so dass Karl große Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Ich war nämlich gar nicht tot, verstehst du? Ich war nur nebenan. In der Todeszone. Und was soll ich sagen. Dort ist es himmlisch. Geradezu paradiesisch.“
Karl konnte nicht glauben, was sein Gegenüber ihm da erzählte.
„Du warst in der Todeszone? Wie lange? Wie sieht es da aus? Ist es dort wirklich so gefährlich?“, sprudelte es aus ihm heraus.
„Scht. Bist du wohl leise? Wenn der Fette mitkriegt, dass ich dort war, ist es vorbei mit meinem Geheimnis.“
„Welches Geheimnis?“, fragte Karl.
„Das wüsstest du wohl gerne“, antwortete Hank. Er machte eine Pause und endlich redete er weiter. „Also schön, aber du musst versprechen, es niemandem zu sagen.“
Karl nickte. Dann sagte er schnell: „Ich schwöre, ich werde es niemandem erzählen.“
Hank holte noch einmal tief Luft, dann erzählte er alles.
„Alles, was du über die Todeszone weißt, ist falsch. Es gibt dort keine Gefahren. Keine Fallen, keine Monster, nichts von alledem. Stattdessen ist es dort einfach himmlisch. Überall gibt es Essen und Trinken. In großen Mengen. Soviel könnte nicht einmal der fette Luis verputzen.“
Karl kam aus dem Staunen nicht mehr raus.
„Und das Beste ist das Brot. Es gibt unendlich viel Brot. Das schmeckt viel besser, als der alte vergammelte Käse und der schimmlige Speck, den man hier zwischen den Ritzen finden kann. Herrliches, duftendes Brot.“
Karl hatte seine Bauchschmerzen vergessen. Plötzlich hatte er Hunger. Er hatte Lust auf Brot.
„Führst du mich dahin? Zeigst du mir, wo es das Brot gibt?“, fragte er.
Hank schüttelte den Kopf. „Ich muss mich ausruhen von meiner langen Reise. Aber ich kann dir den Weg verraten.“
„Oh ja, das wäre super!“, rief Karl und verstummte sofort. Der dicke Luis hatte einen Laut von sich gegeben. Er durfte nichts von dem Essen in der Todeszone mitbekommen, sonst …
„Du gehst durch die Tür und direkt danach musst du dich links halten. Immer links an der Wand entlang. Am Ende des Raumes gibt es eine zweite Tür. Wenn du Glück hast, steht sie offen. Wenn nicht, musst du dich verstecken und abwarten, bis jemand sie öffnet. Hinter dieser Tür ist der Lagerraum. Dort ist all das Brot und das Obst und das Fleisch.“
Karl lief das Wasser im Mund zusammen. Seine Bauchschmerzen waren auf magische Art und Weise wie weggeblasen.
„Ich muss sofort dort hin. Ich muss, ich muss, ich muss.“
Hank lachte. „Aber lass mir was übrig.“ Dann wurde er wieder ernst. „Und zu niemandem ein Wort. Haben wir uns verstanden?“
Karl nickte nur noch, dann lief er auf die Todeszone zu.
Hank legte sich in eine bequeme Position und schloss die Augen. Sein letzter Gedanke, bevor er in tiefen Schlaf abtauchte, war: „Eigentlich ist es schade um ihn. Er war ein so netter.“

Ende